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Deine Stimme in meinem Kopf - Roman

Deine Stimme in meinem Kopf - Roman

Titel: Deine Stimme in meinem Kopf - Roman
Autoren: Deuticke
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gemeinsam den Himmel, spüren, wie die Haut des anderen schrumpelig wird, weil wir uns nach Liebe aus dem Wasser recken, und das werden wir immer tun. Dann kommt eine Biegung und er treibt davon, mit einer Strömung, gegen die er nicht ankommt. Aber es gibt ja noch den Mann am Ufer, den Mann, den man nicht sehen kann, weil er unter der Farbschicht verborgen ist. Wie die Leute, die den Marathonläufern ein volles Glas entgegenstrecken. Ich kann ihn hören. Und er hält mich an der Wasseroberfläche. Das Wasser ist so kalt und dunkel, aber über mir ist alles offen und blau, und während das Wasser mich nach unten zieht, ruft er immer noch: »Schau nach oben! Schau nach oben!«
    Und das tue ich.
    Ich wollte unbedingt alles über die letzte Woche meines Dr. R erfahren, über seine Diagnose und seine Behandlung. Wie ist er gestorben? Wie hätte er gerettet werden können? Aber eigentlich brauche ich nichts darüber zu wissen. Das ist relativ unwichtig. Sehr viel wichtiger für mich ist sein Leben. Endlich begreife ich auch, dass ich den Tod meiner Beziehung zwar nicht verstehe, es aber auch nicht verstehen
muss
. Diese Männer waren gut und freundlich zu mir, sie haben mich geliebt und ich sie auch, und der Schock hilft mir am Ende nicht weiter. Die wahre Offenbarung ist nicht, dass ich sie verloren habe, sondern dass ich sie
gehabt
habe.
    Mum schreibt mir eine E-Mail über den Film
Synecdoche, New York
. Sie sagt, sie hätte ihn sehr schön und sehr bewegend gefunden. Als ich sie frage, warum, erklärt sie: »Weil er mich an meine eigene Sterblichkeit erinnert hat.« Es ist das erste Mal, dass sie diesen Punkt anspricht, davor haben wir einfach verdrängt, dass sie möglicherweise nicht ewig lebt.
    Sie traut mir zu, dass ich mit ihrer Aussage umgehen kann.
    Ich speichere es im Gedächtnis ab und bin froh, dass sie an sich selbst denkt, obwohl sie dadurch natürlich automatisch auch an mich denkt. Und was ich ihr angetan habe. Und was ich ohne sie machen werde. Und was aus mir werden wird.
    »Du musst nicht mit jemandem glücklich sein, nicht für mich«, versichert sie mir auf meine Frage hin, ob sie enttäuscht sei, dass ich es bislang nicht geschafft habe, eine dauerhafte Beziehung einzugehen. »Ich will, dass du mit dir selbst glücklich bist.«
    Ich hatte meinen Abschied von Dr. R. Und ehrlich gesagt habe ich auch GH wiedergesehen, nicht lange nach meiner Istanbul-Reise, aber aus der denkbar größten Entfernung. Auf einer Agentur-Party nach einer Preisverleihung in Los Angeles.
    Ich trug ein Kleid, das ich mir in der Zeit mit Simon gekauft hatte, und das Simon zu eng und zu tief dekolletiert fand. Unkontrollierbar, mich überflutend.
    »Wenn du da hingehst, wirst du GH sehen«, sagte Mum.
    »Ich weiß.«
    »Tapferes Mädchen.«
    »Bin ich. Und ich bin auch ... haut- und würdelos.«
    In diesem Kleid kann man all meine Tattoos sehen. Sie kitten mich zusammen, dort, wo früher Blut floss. Das war zwar nicht geplant, hat sich aber so ergeben.
    Bei der Party unterhalte ich mich lange mit Robert Downey junior und vergesse ganz, dass ich ihm Päckchen ins Gefängnis geschickt hatte. Ich frage mich, ob er sich noch an seine Zeit im Gefängnis erinnert. An unsere anderen Leben, bevor wir gerettet wurden, bevor wir prämodern wurden.
    Aber Sie interessiert sicher sehr viel mehr, wie das Gespräch mit GH verlief. Sehr gewöhnlich, ehrlich: »Wie geht es deinen Eltern?« – »Was machen deine Schwestern?«
    Bis eine Schauspielerin mit einem hautengen Korsettoberteil in der Farbe von dickmachenden Trüffeln zu uns tritt und im Scherz zu GH sagt, sie sei nun endlich bereit, ihn zu vögeln. Und er sagt: »Ha, endlich!«, denn was kann er schon sagen? Ihre Haare sind perfekt gefärbt und toupiert. Wir sind in Hollywood. Ich habe mich dafür entschieden, hier zu sein, ich habe mich freiwillig dafür entschieden,
hier
zu sein!
    Er und ich setzen unseren Smalltalk fort, echt
small
, ja winzig, der uns wie Liliputaner verschlingt. Es gibt einen Moment, in dem die Liliputaner von Mini-Cheeseburgern abgelenkt werden. Wir verstoßen gegen die Spielregeln und halten für eine Weile Händchen, schweigend, bestimmt gute fünf Minuten. Es ist ruhig und still, so still, dass die Schauspielerin eine Weile braucht, um uns zu erspähen, und dann geht sie vor uns auf die Knie und sagt: »Himmel, wie peinlich, was ich vorhin gesagt habe! Ich wusste ja nicht, dass ihr zwei zusammen seid.«
    »Ich ...«, wollte ich ihr erklären.
    Sie hebt eine
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