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Dein goettliches Herz entflammt

Dein goettliches Herz entflammt

Titel: Dein goettliches Herz entflammt
Autoren: Kelly Keaton
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nichts konnte sie davon überzeugen, dass sie sich das alles nur einbildete.«
    Bei der Vorstellung lief es mir eiskalt den Rücken hinunter. Ich hasste Schlangen.
    Dr. Giroux schlug die Akte zu und beeilte sich, mir wenigstens ein Mindestmaß an Trost zu spenden. »Sie sollten bedenken, dass damals viele Menschen unter posttraumatischem Stress litten… Sie waren damals noch zu jung, als dass sie sich erinnern könnten, aber…«
    »Ich kann mich noch an einiges erinnern.« Wie könnte ich das je vergessen? Die Flucht mit Hunderttausenden von Menschen, als zwei aufeinanderfolgende Hurrikans der Kategorie 4 New Orleans und die gesamte Südhälfte von Louisiana zerstört hatten. Niemand war darauf vorbereitet gewesen. Und niemand war zurückgekehrt. Selbst heute, dreizehn Jahre später, wagte sich kein vernünftiger Mensch hinter den Wall.
    Der Arzt lächelte mich mitfühlend an. »Dann brauche ich Ihnen ja nicht zu erklären, warum Ihre Mutter zu uns kam.«
    »Nein.«
    »Es gab so viele Fälle.« Er starrte bedrückt vor sich hin und ich fragte mich, ob seine Worte überhaupt noch an mich gerichtet waren. »Psychosen, die Angst vorm Ertrinken, der Tod von Angehörigen, den man mit ansehen musste. Und die Schlangen. Die Schlangen, die vom Hochwasser aus den Sümpfen ins Landesinnere geschwemmt wurden… Ihre Mutter hat vermutlich etwas Schreckliches erlebt und das hat dann ihre Wahnvorstellung ausgelöst.«
    Wie bei einer Diaschau schossen mir Bilder der Hurrikans und ihrer Folgen durch den Kopf, Bilder, die ich schon fast verdrängt hatte. Ich sprang auf. Ich brauchte frische Luft, ich musste sofort hier raus, raus aus diesem verdammten Haus, das von gruseligen Sümpfen und knorrigen alten Bäumen mit herabhängenden Flechten umzingelt war. Ich wollte mich wie eine Wahnsinnige schütteln, um die Bilder loszuwerden, die mir über die Haut krochen. Stattdessen zwang ich mich, stehen zu bleiben. Ich holte tief Luft, zog den Saum meines schwarzen T-Shirts herunter und räusperte mich. »Danke, dass Sie so spät noch mit mir gesprochen haben. Ich glaube, ich mache mich jetzt besser auf den Weg.«
    Langsam drehte ich mich um und ging auf die Tür zu, obwohl ich gar nicht wusste, wohin ich wollte oder was ich als Nächstes tun würde. Ich wusste nur, dass ich einen Fuß vor den anderen setzen musste, um endlich von hier wegzukommen.
    »Und ihre Sachen wollen Sie nicht haben?«, fragte Dr. Giroux. Abrupt blieb ich stehen. »Von Rechts wegen gehören sie jetzt Ihnen.« Mein Magen krampfte sich schmerzhaft zusammen, als ich mich umdrehte. »Ich glaube, in der Abstellkammer ist ein Karton mit ihren persönlichen Sachen. Ich werde ihn holen. Setzen Sie sich doch noch einen Moment.« Er deutete auf die Bank. »Es wird nicht lange dauern.«
    Bank. Hinsetzen. Gute Idee. Ich ließ mich auf die Bank fallen. Dann stützte ich die Ellbogen auf die Knie, drehte die Fußspitzen nach innen und starrte so lange auf das V zwischen meinen Füßen, bis Dr. Giroux mit einem ausgeblichenen braunen Schuhkarton wiederkam.
    Ich war überrascht – und ein bisschen enttäuscht –, wie leicht der Karton war. »Danke. Oh, noch etwas… Ist das Grab meiner Mutter hier in der Nähe?«
    »Nein. Sie wurde in Griechenland begraben.«
    Ich starrte ihn ungläubig an. »In Griechenland? Sie meinen doch nicht etwa Griechenland in Europa?«
    Dr. Giroux lächelte, steckte die Hände in die Taschen und wippte von den Zehen auf die Fersen. »Doch. Griechenland in Europa. Jemand aus der Familie hat sich um die Beerdigung gekümmert. Wie gesagt, ich habe damals noch nicht hier gearbeitet, aber vielleicht können Sie mehr herausfinden, wenn Sie sich mit dem Bestattungsinstitut in Verbindung setzen. Dort kann man Ihnen sicher sagen, wer die Papiere unterschrieben hat.«
    Familie.
    Dieses Wort war mir so fremd, dass ich nicht sicher war, ob ich Dr. Giroux richtig verstanden hatte. Familie. Hoffnung stieg in mir auf und plötzlich ergriff mich ein seltsames Gefühl. Aus irgendeinem Grund musste ich auf einmal an einen Disneyfilm mit putzigen Vögelchen und singenden Streifenhörnchen denken.
    Nein. Dafür ist es noch zu früh. Eins nach dem anderen.
    Ich starrte den Schuhkarton an und unterdrückte die aufkeimende Hoffnung in meinem Inneren – ich war schon so oft enttäuscht worden, dass ich mir dieses Gefühl gar nicht erst erlauben wollte. Dann ergriff mich die Neugierde, was ich an diesem Abend wohl noch so alles herausfinden würde.
    »Auf Wiedersehen, Miss
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