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Dein goettliches Herz entflammt

Dein goettliches Herz entflammt

Titel: Dein goettliches Herz entflammt
Autoren: Kelly Keaton
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war, dass meine Haare bei einigen der Pflegeväter und Jungen die falsche Art von Aufmerksamkeit erregten, hatte ich alles versucht, um sie loszuwerden. Ich hatte sie kurz geschnitten. Gefärbt. Abrasiert. In der siebten Klasse hatte ich sogar einmal Salzsäure aus dem Chemielabor mitgehen lassen, zu Hause ins Waschbecken gekippt und meine Haare in die Lösung getaucht. Die Haare wurden weggeätzt, doch ein paar Tage später hatten sie wieder die gleiche Länge, die gleiche Farbe, es war alles genau gleich. So wie immer.
    Und deshalb versteckte ich meine Haare inzwischen, so gut es ging, mit Knoten, Zöpfen, Mützen. Außerdem trug ich grundsätzlich Schwarz und hatte so viel Selbstbewusstsein entwickelt, dass die meisten Typen ein Nein, das sie von mir zu hören bekamen, auch akzeptierten. Und wenn nicht, tja, auch damit konnte ich inzwischen umgehen. Meine aktuellen Pflegeeltern, Bruce und Casey Sanderson, besaßen eine Kautionsagentur, was bedeutete, dass sie für Leute, die vor Gericht standen, die Kaution stellten, damit diese bis zu ihrer Verhandlung nicht im Gefängnis sitzen mussten. Und wenn jemand nicht zu seinem Termin beim Richter erschien, jagten wir ihm nach und übergaben ihn der Polizei, damit die Kaution nicht flöten ging. Dank Bruce und Casey konnte ich mit sechs verschiedenen Schusswaffen umgehen, einen hundert Kilo schweren Mistkerl innerhalb von drei Sekunden zu Boden werfen und mit einer auf den Rücken gebundenen Hand einem Straftäter Handschellen anlegen.
    Bei den Sandersons lief so etwas unter »Freizeitgestaltung«.
    Mein Abbild lächelte mich aus dem beschlagenen Spiegel an. Bruce und Casey waren schwer in Ordnung. Das ging so weit, dass sie einer Siebzehnjährigen die Schlüssel zum Familienauto in die Hand drückten und sie nicht daran hinderten, sich auf die Suche nach ihrer Vergangenheit zu machen. Casey war selbst bei Pflegeeltern aufgewachsen und hatte Verständnis dafür, dass ich wissen wollte, woher ich kam. Und sie begriff, dass ich das alleine machen musste. Wären die Sandersons von Anfang an meine Pflegeeltern gewesen, alles wäre anders gekommen. Ich schnaubte verächtlich durch die Nase. Ja, wenn das Wörtchen wenn nicht wäre…
    Im Bad breitete sich Wasserdampf aus. Mir war klar, was ich gerade tat. Klassisches Ausweichverhalten. Ganz typisch für die liebe Ari. Wenn ich nicht unter die Dusche ging, brauchte ich auch nicht das Bad zu verlassen, meinen Pyjama anzuziehen und diesen verdammten Schuhkarton zu öffnen. »Jetzt bring’s endlich hinter dich, du Schisser.« Ich zog meine Unterwäsche aus.
    Dreißig Minuten später sahen meine Finger schrumpelig wie eine Schildkröte aus und im Bad hatte sich so viel Wasserdampf ausgebreitet, dass ich kaum noch atmen konnte. Ich trocknete mich ab, zog meine karierten Boxershorts und ein dünnes Baumwolltop an. Nachdem ich meine nassen Haare zu einem Knoten zusammengebunden und ein Paar Wollsocken über meine ständig kalten Füße gezogen hatte, setzte ich mich im Schneidersitz auf das Kingsize-Bett.
    Der Schuhkarton stand direkt vor mir. Er sah ganz harmlos aus.
    Ich kniff die Augen zusammen. Auf meinen Armen und Oberschenkeln bildete sich eine Gänsehaut. Mein Puls schoss in die Höhe, was ich merkte, als mein Brustkorb sich schmerzhaft zusammenzog.
    Jetzt stell dich doch nicht so an!
    Es war doch nur eine blöde Schuhschachtel. Nur meine Vergangenheit.
    Ich setzte mich bequemer hin. Dann hob ich den Deckel und zog den Karton ein Stück zu mir. Als ich einen Blick hineinwarf, fand ich ein paar Briefe und zwei kleine Schmuckschatullen.
    Der Schuhkarton enthielt so wenig, dass er unmöglich über ein ganzes Leben Auskunft geben konnte. Ich war mir sicher, dass er mehr Fragen aufwerfen als beantworten würde, aber das war ich von meiner Suche ja schon gewohnt. Entmutigt griff ich hinein und holte den schlichten weißen Umschlag heraus, der ganz oben auf dem Stapel lag. Als ich ihn umdrehte, sah ich, dass jemand mit blauer Tinte meinen Namen daraufgeschrieben hatte.
    Aristanae.
    Ich war so überrascht, dass ich für einen Moment zu atmen vergaß. Ach du Scheiße. Meine Mutter hatte mir einen Brief hinterlassen.
    Es dauerte eine Weile, bis ich es begriffen hatte. Mit zitternden Fingern fuhr ich über die geschwungenen Buchstaben, dann öffnete ich den Umschlag und faltete den Brief auseinander. Es war nur ein Blatt Papier, herausgerissen aus einem Notizblock.
    Meine liebste kleine Ari,

wenn Du diesen Brief liest, weiß ich, dass Du
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