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Dein goettliches Herz entflammt

Dein goettliches Herz entflammt

Titel: Dein goettliches Herz entflammt
Autoren: Kelly Keaton
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Selkirk. Alles Gute.«
    Ich blieb kurz stehen. Bevor ich das heruntergekommene Herrenhaus durch die hohe Doppeltür verließ, beobachtete ich noch, wie der Arzt in Richtung einiger Patienten steuerte, die in der Nähe des Erkerfensters saßen. Jeder Schritt, den ich von der psychiatrischen Klinik zu meinem Auto ging, führte mich weiter in meine Vergangenheit zurück. Der Leidensweg meiner Mutter. Mein Leben unter der Vormundschaft des Staates Louisiana. Ich war die Tochter einer alleinerziehenden Teenagermutter, die sich umgebracht hatte.
    Toll. Echt toll.
    Die Sohlen meiner Stiefel knirschten auf dem Kies und übertönten das unaufhörliche Zirpen der Grillen und Heuschrecken, das gelegentliche Plätschern im Wasser und das laute Quaken der Ochsenfrösche. Im Rest des Landes herrschte gerade Winter, doch im tiefen Süden war der Januar warm und feucht. Ich drückte den Schuhkarton fester an mich und versuchte, an den von Spanischem Moos überwucherten Eichen und Zypressen vorbei bis zu den dunklen Schatten um den morastigen Teich zu sehen. Doch eine Wand aus Schwärze hinderte mich daran, eine Wand, die – ich musste blinzeln – zu schwanken schien.
    Doch es waren nur die Tränen, die mir in die Augen schossen.
    Ich bekam kaum noch Luft. Damit hatte ich nicht gerechnet, nicht damit, nicht mit diesem… Schmerz. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass ich herausfinden würde, was aus ihr geworden war. Nachdem ich mir die Tränen aus den Augen gewischt hatte, stellte ich den Schuhkarton auf den Beifahrersitz des Autos und fuhr über die gefährlich schmale und kurvenreiche Straße nach Covington, Louisiana, ein Ort, der zumindest ansatzweise an Zivilisation erinnerte.
    Covington lag kurz vor dem Wall, der Grenze zwischen dem Land der Verdammten und dem Rest des Landes; eine kleine Grenzstadt mit einem Holiday Inn Express .
    In meinem Hotelzimmer angekommen, stellte ich den Schuhkarton aufs Bett. Dann schlüpfte ich aus meinen Stiefeln, zog meine alte Jeans aus und zerrte das T-Shirt über meinen Kopf. Ich hatte am Morgen geduscht, doch der Besuch in der Irrenanstalt hatte seine Spuren hinterlassen. Die bedrückende Atmosphäre und die klebrige Feuchtigkeit Louisianas, die sich auf meine Haut gelegt hatte, musste ich abwaschen.
    Im Bad stellte ich die Dusche an und knüpfte das schmale schwarze Band um meinen Hals auf, mein Lieblingsamulett hing daran, ein Halbmond aus Platin. Der Halbmond war für mich schon immer der schönste unter den Himmelskörpern gewesen, vor allem wenn er in einer kalten, klaren Nacht von funkelnden Sternen umgeben war. Er faszinierte mich so sehr, dass ich mir einen winzigen schwarzen Halbmond unter den rechten Augenwinkel hatte tätowieren lassen, am höchsten Punkt des Wangenknochens. Ein vorgezogenes Geschenk zu meinem Highschool-Abschluss, von mir selbst. Das Tattoo erinnerte mich an meine Herkunft, an meinen Geburtsort. Die Halbmondstadt. New Orleans.
    Doch dieser Name war Vergangenheit. Jetzt hieß sie New 2 und war eine bröckelnde, verlorene Stadt, die dem Hochwasser getrotzt hatte. Eine Stadt in Privatbesitz, ein Leuchtturm in der Nacht, ein Zufluchtsort für Außenseiter der Gesellschaft und alle möglichen Spukgestalten, die im Schutz der Dunkelheit ihr Unwesen trieben. Jedenfalls wurde das behauptet.
    Während ich in meiner schwarzen Unterwäsche vor dem großen Spiegel stand, beugte ich mich vor und berührte den kleinen schwarzen Mond unter meinem Auge. Ich musste an meine Mutter denken, die ich nie richtig gekannt hatte, meine Mutter, deren Augen vielleicht genauso türkis gewesen waren wie jene, die mich jetzt aus dem Spiegel anstarrten, deren Haare vielleicht genauso ausgesehen hatten wie meine…
    Ich seufzte, richtete mich auf und griff nach hinten, um den festen Haarknoten in meinem Nacken zu lösen.
    Unnatürlich. Krank. Total scheiße.
    Diese und noch andere Ausdrücke hatte ich benutzt, um die dicken Strähnen zu beschreiben, die sich jetzt entrollten und hinter meinen Schultern bis zu meiner Taille fielen. Mittelscheitel. Eine Länge. So hell, dass es im Mondlicht wie Silber wirkte. Mein Haar. Der Fluch meines Lebens. Voll. Glänzend. Und so glatt, dass alle dachten, eine ganze Horde von Stylisten mit Glätteisen hätte Überstunden eingelegt, um es so aussehen zu lassen. Aber es war alles Natur.
    Nein. Es war wider die Natur.
    Erneut kam ein müder Seufzer über meine Lippen. Ich hatte schon vor langer Zeit kapituliert.
    Als mir mit etwa sieben Jahren klar geworden
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