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Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Titel: Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze
Autoren: Javier Marías
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versuchten, sie in ein Werk ihrer Machenschaften und ihrer Dramaturgie und des Kalküls zu verwandeln. Oder, was auf das gleiche hinausläuft, als bemühten sie sich, sie soweit wie möglich zu antizipieren und zu gestalten und ihren Inhalt auszuarbeiten; deshalb würden sie ihn gern diktieren, die einzig sichere Art und Weise, die ihnen noch verbleibende Zeit wirklich auszunutzen, die sehr langsam voranzuschreiten scheint, aber ihnen nur wie Schnee auf die Schultern fällt, glatt und sanft. Und der Schnee hört immer auf.

W as Tupra betraf, so hatte ich das sichere Gefühl, daß Wheeler wollte, daß ich ihn kennenlernte oder sah, denn er hätte sich darauf beschränken können, mich telefonisch einzuladen und mir zu sagen: »Es kommen ein paar Freunde und Bekannte zu einem kalten Abendessen, am übernächsten Samstag; komm doch auch, du bist so allein da in London.« Er wußte nicht, ob ich ein wenig oder sehr allein war oder zuviel Gesellschaft hatte, aber er pflegte den anderen seine eigene Situation zu unterstellen, seine Entbehrungen und auch seine Schwächen, eine List, denn wenn er den anderen zuvorkam, konnte ihn schwerlich jemand darauf aufmerksam machen oder seine Eigenarten gegen ihn wenden, es hätte wie fehlende Originalität auf seiten des Gesprächspartners, wie infantil gewirkt. Aber obwohl er mehr oder weniger diese Worte sagte, druckste er noch einen kurzen Moment am Telefon herum, als ich bereits dankend angenommen und Datum und Uhrzeit notiert hatte, und fügte mit gespieltem Zögern hinzu (ohne jedoch zu verbergen, daß er es spielte): »Na ja, du wirst sehen, es kommt dieser Typ, Bertram Tupra, ein ehemaliger Student von Toby.« ( Fellow war das benutzte Wort, weniger abwertend vielleicht als »Typ«: wir sprachen unterschiedslos englisch oder spanisch oder bisweilen jeder in seiner Sprache.) Und bevor ich den unglaubhaften Namen in mir nachklingen lassen konnte, beeilte er sich, den Nachnamen zu buchstabieren und einzuräumen: »Ja, ich weiß, das klingt nach einem erfundenen Namen, das könnte sehr gut sein, aber wahrscheinlicher ist, daß Bertram falsch ist und nicht Tupra, ein solcher Nachname muß echt sein, russischen oder tschechischen Ursprungs, ich weiß nicht, oder womöglich finnisch, oder vielleicht liegt das nur daran, weil er ein bißchen wie Tundra klingt, nicht? Jedenfalls ist er ganz offensichtlich nicht englisch, sondern eindeutig ausländisch, wer weiß ob armenisch oder türkisch, der Mann hat es also vermutlich für klug erachtet, ihn mit einem Vornamen zu kompensieren, der unserer Theater würdig ist, du weißt schon, Cyril, Basil, Reginald, Eustace, Bertram kommen in allen angestaubten Komödien vor. Vielleicht hat er ihn deshalb geändert, er hätte sich hier nicht bewegen können, ohne Verdacht zu erregen, wenn er, was weiß ich, Wladimir Tupra oder Vaclav Tupra oder Pirkka Tupra geheißen hätte, stell dir vor, was für ein Unglück bis vor wenigen Jahren, er hätte nur im Ballett oder im Zirkus Karriere machen können, nehme ich an, natürlich unmöglich in seinem Bereich …« Wheeler lachte spöttisch auf, als wäre ihm Tupra, dessen Bild er kannte, einen Augenblick lang in engen Strumpfhosen und mit spitzem oder geschlitztem Ausschnitt vor Augen getreten, wie er mit kräftigen Schenkeln und kurz vor dem Platzen stehenden geäderten Waden auf einer Bühne herumhüpfte; oder mit dem Trikot und dem kurzen kleinen phosphoreszierenden Umhang des Trapezkünstlers. Und er machte noch eine Pause, bevor er erneut ansetzte, als erwartete er eine Unterstützung von mir oder sei unschlüssig, ob er erklären sollte oder nicht, was »sein Bereich« war. Ich sagte nichts, und so blieb er unschlüssig, ich merkte, daß ich nicht genau darauf achtete, was er hinzufügte, mir schien, als wartete er den richtigen Zeitpunkt ab, bis er sich entschließen würde, und als improvisierte er: »Ich frage mich, ob er sich nicht vielleicht von diesem legendären Buchhändler in der Nähe von Covent Garden hat inspirieren lassen, Bertram Rota, du kennst den Laden, ich glaube, sein vollständiger Name war Cyril Bertram Rota, bislang war mir nicht aufgefallen, wie exzentrisch sein Familienname für ein Lokal in Long Acre oder irgendwo dort ist, sicher spanischen Ursprungs, nicht? Kennst du irgendeinen Rota in Spanien, abgesehen von dem käuflichen kirchlichen Gericht? Natürlich könnte Bertram sein wahrer Name sein, ich rede von Tupra, und sein Vater, wenn der es war, der aus der Tundra oder
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