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Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Titel: Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze
Autoren: Javier Marías
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der Steppe ausgewandert ist, konnte auf den Gedanken gekommen sein, den Sohn bei der Geburt zu britannisieren, um den barbarischen, fast anklagenden Effekt von Tupra abzumildern, in Spanien hätte er ihn aufgeben müssen, nicht?, er wäre Gegenstand grausamer Scherze mit dem Wort Stuprum gewesen. Aber diese dummen Sachen funktionieren, sieh dir nur den Fall Rota an, es war mir bislang nicht klar geworden, nach so vielen Jahren, in denen ich mein Vermögen untergrabe, indem ich ihm per Katalog seine teuren Bücher abkaufe; ich muß seinen Sohn Anthony fragen, ich glaube, er lebt noch …« Wheeler hielt abermals inne, beim Sprechen wägte er ab, er wollte mir etwas erzählen oder ankündigen oder eine Frage stellen oder auch nicht. »Und außerdem«, fuhr er gleich fort, »wird Bertram unserem Tupra erlauben, vertraulich Bertie genannt zu werden, was ihm das Gefühl geben wird, direkt einem Werk von Wodehouse entsprungen zu sein, wenn er unter Freunden oder mit seiner Freundin zusammen ist, sie wird übrigens auch kommen, eine neue Freundin, die er uns unbedingt vorstellen will, sicher wird ihn eher ihr Aussehen als ihr gewiß zu erwartendes Wissen mit Stolz erfüllen …« Er machte eine letzte Pause, aber ich war nicht kommunikativ oder hatte nichts einzuwerfen, und so setzte er zu einer weiteren Abschweifung an, um elegant zu enden, sie kam mir spannender vor als die vorherigen: »Natürlich spricht er englisch wie ein Einheimischer, Londoner Süden, halbgebildet, würde ich sagen. Und wenn man es recht bedenkt, dann ist er vielleicht englischer als ich, schließlich und endlich bin ich in Neuseeland geboren und erst mit sechzehn Jahren hierher gekommen, noch dazu mit geändertem Familiennamen, natürlich aus anderen Gründen, nichts von wegen patriotischem Wohlklang oder Steppe. Aber, na ja, das alles weißt du ja, und es steht in keinem Zusammenhang, ich halte dich zu lange auf. Ich rechne also mit dir für den besagten Samstag.« Und er verabschiedete sich in seinem besten herzlichen Ton, der seinen nie auszuschließenden Spott überdeckte: »Ich werde mit der größten Ungeduld auf dein Kommen warten. Du bist sehr allein da in London. Daß du mir ja nicht kneifst.« Den letzten Satz sagte er in meiner Sprache.

S o war und ist Sir Peter Wheeler, dieser falsche Greis, ich meine, daß sich hinter seinem ehrwürdigen, sanftmütigen Äußeren oft energische, fast akrobatische Machenschaften verbergen und hinter seinen entrückten Abschweifungen ein beobachtender, analytischer, vorausschauender, deutender Geist, der ständig urteilt. Für die Dauer mehrerer endloser Minuten hatte meine Aufmerksamkeit diesem Bertram Tupra gegolten, auf den zu achten ich während des kalten Abendessens gezwungen sein würde, darum war es zweifellos hauptsächlich gegangen, daß ich auf ihn achten sollte. Aber letztlich hatte er nicht erklärt, warum, und in Wirklichkeit auch kein einziges beschreibendes oder informierendes Wort über den fraglichen Typen oder fellow von sich gegeben, nur, daß er Student von Toby Rylands gewesen war und daß er mit einer neuen Freundin kam, der Rest hatte aus überflüssigen Bemerkungen und müßigen Vermutungen über seinen absurden Namen bestanden. Er hatte sich nach seiner unausdrücklichen Unschlüssigkeit nicht einmal entschieden, zu spezifizieren, was »sein Bereich« war, das, wo er niemals reüssiert hätte, wenn sein Name Pavel oder Mikka oder Jukka gewesen wäre. Und am Ende hatte er mein mögliches Interesse sogar in andere Bahnen gelenkt, indem er zum ersten Mal vor mir auf seine neuseeländischen Wurzeln, auf seine nicht eben frühe Eingliederung in England und auf seinen geänderten oder apokryphen Familiennamen angespielt hatte, nicht ohne mich zugleich daran zu hindern, ihn etwas darüber zu fragen, da er sogleich hinzugefügt hatte: »Aber das alles weißt du ja, und es steht in keinem Zusammenhang«, während mir das alles bis zu jenem Augenblick gänzlich unbekannt gewesen war.
    ›Also eine weitere Parallele zu Toby‹, dachte ich, nachdem ich aufgelegt hatte, ›über den neben zahlreichen anderen Legenden das Gerücht umging, er stamme aus Südafrika; ein Grund mehr, daß sie in jungen Jahren Freunde wurden, ausländische oder nur eingebürgerte Briten, künstliche Engländer beide.‹ Rylands hatte mich nie über ein einziges dieser Gerüchte aufgeklärt, und ich hatte ihn auch nicht weiter über sie ausgeforscht, er hatte es nicht gern, seine Vergangenheit mit lauter Stimme
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