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Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Titel: Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze
Autoren: Javier Marías
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Gespenster herauf. Auch die Einsamkeit. Und mehr noch die Unwissenheit.«
    Das verwirrte mich ein wenig, es konnte eine List von Wheeler sein, um der Frage auszuweichen, ein rascher Haken. Aber ich würde ihn nicht entkommen lassen. Trotzdem dachte ich einen Augenblick nach. Er hatte zum Teil ins Schwarze getroffen, ohne es zu wollen, und ich hatte nichts dagegen, daß er es wußte, ihn freute sein Scharfblick:
    »Ja, ich bin ein bißchen besorgt. Auch wegen der Kinder, deshalb. Seit ich hier bin, weiß ich nicht viel von ihnen und von Luisa noch weniger. Es gibt eine Art Undurchsichtigkeit, obwohl wir relativ häufig miteinander sprechen. Ich weiß nicht, wen sie sieht, wen sie nicht sieht, wer ein- und wer ausgeht, es ist eine wachsende Unkenntnis ihrer Person und ihrer ersetzten oder vielleicht noch veränderlichen Welt. Um die Wahrheit zu sagen, ich weiß nicht mehr genau, was bei mir zu Hause geschieht, ich habe keine Bilder mehr. Es ist, als hätten die alten, ewig gleichen an Helligkeit verloren und dunkelten von Tag zu Tag. Aber ich habe Sie nicht deshalb danach gefragt, Peter, sondern weil Sie sie erwähnt haben. Valerie.« Ich wagte, diesen Namen auszusprechen, der so privat war, daß ich ihn bis zu diesem Morgen niemals gehört hatte. Ich hatte ein Gefühl von Anmaßung auf den Lippen. »Woran ist sie gestorben, sagen Sie es mir.«
    Und dann spielte Wheeler nicht mehr. Ich sah, wie sich sein Unterkiefer anspannte, ich bemerkte, wie er die Backenzähne zusammenpreßte, er paßte sie ineinander, als wollte er Sicherheit gewinnen, damit ihm nicht die Stimme bräche, wenn er wieder sprechen würde.
    »Das …«, sagte er. »Laß es mich ein andermal erzählen, wenn es dir recht ist. Wenn du nichts dagegen hast.« Er schien um einen Gefallen zu bitten, jedes Wort kostete ihn Mühe.
    Ich wollte nicht darauf bestehen. In einem plötzlichen Impuls begann ich zu pfeifen, was ich gerade auf dem Klavier gehört hatte, eine eingängige Passage, um den Nebel zu zerstreuen, der ihn plötzlich eingehüllt hatte. Aber ich mußte ihm noch antworten, schweigen war hier keine Antwort.
    »Wie Sie möchten«, sagte ich. »Erzählen Sie es mir, wann Sie wollen, wenn Sie nicht wollen, dann erzählen Sie es mir nicht.«
    Und dann begann ich zu pfeifen. Ich weiß, daß Pfeifen ansteckend ist, und auch in diesem Fall war es so: Wheeler fiel sofort in mein Pfeifen ein, sicher ungewollt; aber nicht umsonst kannte er das Stück auswendig, wahrscheinlich spielte auch er es. Er brach jedoch einen Moment jäh ab, um etwas hinzuzufügen:
    »In Wirklichkeit sollte man niemals etwas erzählen.«
    Das sagte Wheeler schon im Stehen, kaum daß er sich erhoben hatte, und ich tat es ihm sogleich nach. Er faßte mich am Ellbogen, er hielt sich an mir fest, um Stehvermögen zurückzugewinnen. Frau Berry machte uns Zeichen vom Fenster her. Die Musik hatte aufgehört, und es war nur noch unser Pfeifen zu hören, schwach und nicht im gleichen Takt, während wir dem Fluß den Rücken zuwandten und auf das Haus zugingen.
    Es regnete noch immer, und noch immer wurde ich nicht müde, von meinem auf den Square oder Platz hinausgehenden Fenster zuzuschauen, es war ein in sich ruhender, müheloser Regen, so stetig und heftig, daß er ganz allein die Nacht mit seinen kontinuierlichen Fäden wie flexible metallene Gerten oder wie endlose Lanzen zu erhellen schien, es war, als schlösse er für immer die freie Sicht aus und verdrängte jede andere künftige Zeit am Himmel und erlaubte nicht einmal die Vorstellung seiner Abwesenheit, so wie einzig der Frieden, wenn Frieden herrscht, und der Krieg, wenn Krieg ist, zu existieren scheinen. Mein Tänzer von gegenüber hatte mit seiner Partnerin nach seinem gälischen Fußgehämmer noch ein paar dämliche country square dances mit einfallslosen Figuren und abgemessenen Schritten ausgeführt, und beide hatten sich Cowboyhüte aufgesetzt für diesen enttäuschenden Festausklang, total verrückt oder total glücklich. Jetzt hatten sie gerade das Licht gelöscht, die Mulattin würde dort übernachten bei diesem Regen, aber bevor ich einen Augenblick mit Sympathie an sie denken konnte, mußte ich es nachprüfen, und so schaute ich ein paar Minuten lang nach unten und über die Bäume und das Denkmal hinweg, ich beobachtete den Platz, für den Fall, daß sie herauskam und ging, wider alle Wahrscheinlichkeit. Und in diesem Augenblick sah ich die beiden Gestalten auf meinen Hauseingang zukommen, die Frau und den Hund, sie
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