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Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Titel: Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze
Autoren: Javier Marías
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etwas mit außergewöhnlichen Fähigkeiten oder gar mit Wahrsagerei zu tun hat, obwohl etwas in der Art letztlich der Erwartung meines zeitweiligen Chefs oder des Mannes entsprach, der mich für eine Zeit unter Vertrag nahm, die sich endlos dehnte, mehr oder weniger die Zeit meiner Trennung von Luisa, als ich nach England zurückgekehrt war, um nicht länger in der Nähe meiner Frau zu sein, während sie sich von mir entfernte. Die Leute benehmen sich nicht selten idiotisch mit ihrer Neigung, an die Wiederholung von etwas zu glauben, das ihnen gefällt: wenn etwas Gutes einmal geschieht, dann muß es von neuem geschehen oder zumindest begünstigt werden. Ich brauchte also nur bei einer Gelegenheit, als es darum ging, eine Beziehung zu interpretieren, die für Herrn Tupra von (vorübergehender) Bedeutung war, ins Schwarze zu treffen, damit Mr. Tupra – wie ich ihn tatsächlich stets nannte, bis er mich bat, zu Bertram überzugehen und später zu Bertie, mir paßte das gar nicht – meine Dienste in Anspruch nehmen wollte, zuerst sporadisch und schon bald die ganze Zeit, mit theoretischen Aufgaben, die so vage wie variabel waren, darunter die des Verbindungsmannes oder gelegentlichen Dolmetschers bei seinen spanischen und lateinamerikanischen Sondierungen. Doch in Wirklichkeit – in der Praxis – interessierte ich ihn und sah er mich eher als Lebensdeuter, seinem feierlichen Ausdruck und seinen maßlosen Erwartungen zufolge. Es wäre besser, es bei Übersetzer oder Dolmetscher von Personen zu belassen: ihrer Verhaltensweisen und Reaktionen, ihrer Neigungen und Charaktere und ihrer Belastbarkeit; ihrer Lenkbarkeit und ihrer Unterwerfung, ihres matten oder festen Willens, ihrer Unbeständigkeit, ihrer Grenzen, ihrer Unschuld, ihrer Skrupellosigkeit und ihrer Widerstandskraft; des möglichen Grads ihrer Loyalität oder Niedertracht und ihres berechenbaren Preises und ihres Giftes und ihrer Anfechtungen; und auch ihrer deduzierbaren, nicht vergangenen, sondern künftigen Geschichten, die noch nicht geschehen waren und daher verhindert werden konnten. Oder angestiftet.
    Kennengelernt hatte ich ihn in Oxford im Haus von Professor Peter Wheeler, dem herausragenden, bereits emeritierten Hispanisten und Lusitanisten, dem Mann, der in der Welt am meisten über Heinrich den Seefahrer weiß und zu denen gehört, die am meisten über Cervantes wissen, heute Sir Peter Wheeler und erster Träger des Nebrija-Preises von Salamanca, der den Geistesgrößen seines Faches oder Feldes bestimmt ist und – ziemlich überraschend im knausrigen oder verarmten Universitätsbereich – mit einer nicht zu verachtenden Geldsumme dotiert ist, was bewirkte, daß die verausgabten Augen seiner habsüchtigen oder bedürftigen internationalen Kollegen ein vorletztes Mal neidvoll auf ihm ruhten. Ich ging ihn von London aus ab und zu besuchen (eine Stunde Zugfahrt hin und eine weitere zurück), nachdem ich ihn viele Jahre zuvor kennengelernt und ein wenig Umgang mit ihm gehabt hatte, als ich – noch Junggeselle, jetzt lebte ich getrennt, immer allein in England – zwei Studienjahre lang den Posten eines Spanischlektors an der Universität Oxford innegehabt hatte. Wheeler und ich waren uns von Anfang an sympathisch gewesen, vielleicht aus Ehrerbietung für den, der uns seinerzeit vorgestellt hatte, Toby Rylands, Professor für englische Literatur, ein enger Jugendfreund von ihm, mit dem er außer dem Alter und dem daraus folgenden Status als Ruheständler wider Willen nicht wenige Charakterzüge teilte. Während ich mit Rylands recht häufig Umgang hatte, sah ich Wheeler erst am Ende meines Aufenthalts, denn damals lehrte er als emeritierter Professor in Texas während unserer Vorlesungszeit, und ich kehrte in den Ferien gewöhnlich nach Madrid zurück oder ging auf Reisen, wir trafen nicht zusammen. Doch nach Rylands’ Tod und meinem Weggang hielten Wheeler und ich an dieser Ehrerbietung fest, die, da sie seitdem einer Erinnerung oder einem wehrlosen Gespenst gilt, vermutlich unbegrenzt dauern wird: wir schrieben uns oder telefonierten dann und wann, und wenn ich nach London kam für einige Tage, versuchte ich, mir die Zeit zu nehmen und ihn allein oder mit Luisa zu besuchen. (Wheeler auch als Ablösung oder Nachfolger von Rylands oder als sein Erbe: es ist ein Skandal, wie wir die verlorenen Gestalten unseres Lebens ersetzen, wie wir uns bemühen, die Leere zu füllen, wie wir uns nie damit abfinden, daß der Bestand sich verringert, ohne
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