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Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Titel: Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze
Autoren: Javier Marías
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was mögen das für Veränderungen sein, die in der eigenen Abwesenheit und hinter dem eigenen Rücken stattfinden werden, man ist nicht mehr dabei, man ist kein Teilnehmer mehr, nicht einmal mehr ein Zeuge, und es ist, als sei man aus der voranschreitenden Zeit vertrieben worden, denn diese Zeit ist in der widrigen Distanz zu einem eingefrorenen Bild oder zu einer eingefrorenen Erinnerung erstarrt.
    Und man sitzt dem dummen Glauben auf, daß einem seltene Abwesenheiten erhalten bleiben, nicht im Wesentlichen, wohl aber im Symbolischen, als wäre es nicht unendlich leichter, Symbole zu zerstören statt vergangener und geschehener Tatsachen, sie lassen sich ohne allzu große Mühe abschaffen oder auslöschen, es genügt, entschlossen zu sein und die Erinnerungen in den Griff zu bekommen. Man glaubt nicht, daß Luisa nicht bald eine neue Liebe oder einen Liebhaber haben wird, man glaubt nicht, daß sie ihn nicht schon erwartet, ohne zu wissen, daß sie ihn erwartet, oder sogar schon sucht mit gerecktem Hals und wachem Blick, ohne zu wissen, daß sie sucht, auch nicht, daß das vorhersehbare Erscheinen desjenigen, der noch kein Gesicht und keinen Namen hat und sie daher alle in sich birgt, die möglichen und die unmöglichen, die erträglichen und die widerwärtigen, sie nicht mit passiver Freude erfüllt. Dagegen glaubt man unlogischerweise, daß Luisa diese neue Liebe oder diesen Liebhaber nicht mit nach Hause, zu den Kindern, bringen wird, auch nicht in unser Bett, das jetzt nur noch ihres ist, und daß sie ihn fast heimlich sehen wird, als würde die Achtung vor meinem noch frischen Andenken sie dazu zwingen oder es erflehen – ein Flüstern, ein Fieber, ein Stich –, als wäre sie eine Witwe und ich ein Toter, der Trauer verdient und den man nicht so rasch ersetzen kann, noch nicht, mein Liebling, warte, warte, es ist noch nicht deine Stunde, verdirb sie mir nicht, laß mir Zeit und laß sie ihm, diesem Toten, seine Zeit, die nicht mehr voranschreitet, gib sie ihm, damit er verblassen kann, laß ihn zum Gespenst werden, bevor du seinen Platz einnimmst und sein Fleisch vertreibst, laß ihn zu nichts werden, und warte, daß kein Geruch mehr an den Laken noch an meinem Körper haftet, laß das, was war, ungeschehen sein. Man glaubt, daß Luisa diesen Mann nicht einfach so in unsere Gewohnheiten und in unser Bild einläßt, daß sie nicht erlauben wird, daß plötzlich er es ist, der ihr bei der Zubereitung des Abendessens hilft – laß nur, die Tortilla mach ich schon – und sich neben sie und die Kinder setzt, um ein Video anzuschauen – nichts gegen Tom und Jerry – oder daß er es ist, der später auf Zehenspitzen – du bist todmüde, ich geh schon, bleib sitzen – hingeht und in den beiden Zimmern die Lampen löscht, nachdem er festgestellt hat, daß meine Kinder mit Tim und Struppi in den Händen eingeschlafen sind und das Buch sanft zu Boden geglitten ist, oder mit einer Puppe auf dem Kopfkissen, die in der winzigen Umarmung der schlichten Träume ersticken wird.
    Doch man muß sich damit abfinden, daß es keine Trauer gibt und keinen Respekt für das eigene Andenken oder für das, was man jetzt verspätet zu Symbolen zu erheben beschließt, unter anderem weil Luisa keine Witwe ist und man nicht gestorben ist und ich nicht gestorben bin und man vielmehr nicht aufmerksam genug war und einem nichts geschuldet ist, und vor allem, weil ihre Zeit, die die Kinder einhüllt und fortreißt, jetzt eine ganz andere ist, ihre schreitet voran, ohne mich einzubeziehen, und ich weiß nicht so genau, was ich mit meiner tun soll, die ebenfalls voranschreitet, ohne mich einzubeziehen oder in die ich noch nicht einzutreten imstande war, vielleicht werde ich niemals mehr mit der Zeit Schritt halten und immer nur der Spur dieser meiner eigenen Zeit folgen. Bald wird es jemanden geben, der es übernimmt, die Tortillas zuzubereiten, und sich täglich vor ihr und den Kindern Verdienste erwirbt, er wird monatelang seinen Ärger darüber verbergen, daß er sie nicht zu jeder Stunde allein für sich hat, er wird den Geduldigen und den Verständnisvollen und den Solidarischen spielen und mit halben Worten und mit bemühten Fragen und lächelndem, rückblickendem Mitleid mein Grab, in dem ich schon begraben liege, noch tiefer graben. Das ist absehbar, doch wer weiß … Vielleicht ist er ein lockerer, heiterer Typ, der sie jeden Abend ausführt und nichts von den Kindern wissen oder unsere Wohnung nicht weiter als bis zur
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