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Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Titel: Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze
Autoren: Javier Marías
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Macht liegen, daß es nicht wiederholt und gegen mich gewendet wird, um mich zu verderben, oder, schlimmer noch, daß es nicht wiederholt und gegen jene gewendet wird, denen meine Zuneigung gehört, um sie zu verdammen.

U nd dann ist da das Mißtrauen, an dem es mir auch in keiner Weise gefehlt hat.
    Es ist bezeichnend, wie das Gesetz darauf verweist, höchst seltsam, wie es uns schützt, sich die Mühe macht: Wenn jemand verhaftet wird, zumindest im Film, erlaubt man ihm, zu schweigen, denn »alles, was Sie sagen, kann fortan vor Gericht gegen Sie verwendet werden«, teilt man ihm sogleich mit. In dieser Warnung liegt die sonderbare – oder unschlüssige, widersprüchliche – Absicht, ein nicht ganz und gar schmutziges Spiel zu spielen. Das heißt, man informiert den Angeklagten, daß die Regeln fortan schmutzig sein werden, man verkündet ihm oder ruft ihm in Erinnerung, daß man ihn wie auch immer in die Enge treiben und seine möglichen Ungeschicklichkeiten, Widersprüche und Irrtümer ausnutzen wird – er ist kein Verdächtiger mehr, sondern ein Angeklagter, dessen Schuld man zu beweisen, dessen Alibis man zu zerpflücken trachten wird, er kann nicht mehr auf Unparteilichkeit rechnen, nicht zwischen heute und dem Tag, da er vor Gericht erscheint –, jedes Bemühen ist auf das Beschaffen von Beweisen für seine Verurteilung gerichtet, jedes Überwachen und Zuhören und Nachforschen und Ermitteln auf das Erlangen von Hinweisen, die ihn belasten, und den Entschluß, ihn zu verhaften, untermauern. Und doch bietet man ihm die Möglichkeit, zu schweigen, man drängt ihn förmlich dazu; jedenfalls unterrichtet man ihn über dieses Recht, von dem er vielleicht nichts wußte, und so bringt man ihn manchmal auf die Idee: nicht den Mund aufzumachen, nicht einmal zu leugnen, was man ihm zur Last legt, sich nicht der Gefahr auszusetzen, sich selbst zu verteidigen; Schweigen erscheint als das in jeder Hinsicht klügste oder wird als solches dargestellt, als das, was uns retten kann, sogar wenn wir uns schuldig wissen und schuldig sind, als einzige Möglichkeit, daß dieses angekündigte schmutzige Spiel wirkungslos bleibt oder kaum zum Zuge kommt oder zumindest nicht mit der unfreiwilligen, naiven Beihilfe des Angeklagten: »Sie haben das Recht zu schweigen«, man nennt es die Miranda-Formel in Amerika, und ich weiß nicht einmal, ob es in unseren Ländern eine Entsprechung dafür gibt, man hat sie einmal dort auf mich angewendet, vor langer oder nicht allzu langer Zeit, doch der Polizist sagte sie unvollständig, unvollkommen auf, er vergaß zu sagen: »vor Gericht«, als er den berühmten Satz herunterrasselte, »alles, was Sie sagen, kann gegen Sie verwendet werden«, es gab Zeugen für die Auslassung, und deshalb war die Festnahme nicht gültig. Dem gleichen sonderbaren Geist entspricht jenes andere Recht des Angeklagten, nicht gegen sich selbst auszusagen, sich nicht durch Worte mit seiner Erzählung oder seinen Antworten oder Widersprüchen oder seinem Gestammel zu belasten. Sich nicht erzählerisch zu schaden (ach, das kann ein großer Schaden sein); und daher zu lügen.
    Das Spiel ist in Wirklichkeit so schmutzig und eigennützig, daß kein Rechtssystem mit derartigen Prämissen sich etwas auf seine Gerechtigkeit zugute halten kann, und vielleicht ist in diesem Fall keine Gerechtigkeit möglich, niemals, nirgendwo, die Gerechtigkeit eine Phantasmagorie und ein falsches Konzept. Denn was man dem Angeklagten sagt, läuft auf folgendes hinaus: »Wenn du etwas aussagst, das uns paßt oder unseren Absichten entgegenkommt, werden wir dir glauben und es berücksichtigen und es gegen dich wenden. Wenn du dagegen etwas zu deinen Gunsten oder zu deiner Entlastung vorbringst, etwas, das deiner Rechtfertigung dient und uns nicht paßt, werden wir dir nichts glauben, und die Worte werden in den Wind gesprochen sein, weil du das Recht hast zu lügen und wir davon ausgehen, daß jeder, das heißt, jeder Kriminelle, es für sich in Anspruch nimmt. Wenn dir eine Aussage entschlüpft, die dich belastet, oder du dich in krasse Widersprüche verwickelst oder offen gestehst, dann werden diese Worte ihr Gewicht haben und sich gegen dich auswirken: wir werden sie gehört haben, wir werden sie registrieren, zur Kenntnis nehmen, als gesagt betrachten, im Protokoll festhalten, sie in die Akte aufnehmen, und sie werden deine Anklage sein. Jeder Satz, der hilft, dich zu entlasten, wird dagegen leicht wiegen und verworfen werden, wir
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