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Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Titel: Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze
Autoren: Javier Marías
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verdächtigt und dem er nicht mehr traut, ins Ohr gleiten läßt: Dein Nichtwissen wird dich am meisten schützen, frag nicht weiter, frag nicht, es wird deine Rettung sein und dein Schutzbrief. (Die beste Art, Verrat zu vermeiden, besteht darin, daß nichts dazu taugt oder daß er aus Talmi besteht, sein Inhalt ohne Wert noch Gewicht, leere Hülse, ein Reinfall für den, der dafür zahlt.) Oder wie einer, der ein Verbrechen in Auftrag gibt, oder einer, der mit einem droht, oder einer, der seine Niederträchtigkeiten preisgibt und sich damit einer Erpressung aussetzt, oder einer, der heimlich kauft – mit hochgeklapptem Mantelkragen und das Gesicht immer im Schatten, zünd nie eine Zigarette an –, den Auftragskiller oder den Bedrohten oder den möglichen Erpresser oder die austauschbare, längst aus dem Begehren gelöschte Frau, für die man sich gleichwohl schämt, warnt: Du weißt Bescheid, von jetzt an hast du mich nie gesehen, du weißt nicht, wer ich bin, du kennst mich nicht, ich habe nicht mit dir gesprochen oder dir irgendwas gesagt, für dich habe ich kein Gesicht, keine Stimme, keinen Atem, keinen Namen, nicht einmal einen Nacken oder einen Rücken. Diese Unterhaltung und dieses Treffen haben nicht stattgefunden, was hier vor deinen Augen geschieht, hat sich nicht ereignet, passiert nicht, und auch diese Worte hast du nicht gehört, weil ich sie nicht ausgesprochen habe. Und obwohl du sie jetzt hörst, sage ich sie nicht.
    (Schweigen und auslöschen, aufheben, ausstreichen und schon vorher geschwiegen haben: das ist das hohe, unmögliche Ziel der Welt, und deshalb sind die Surrogate so unzulänglich und ist es so kindlich, das Gesagte zurückzunehmen, so hohl, zu widerrufen; und deshalb erbittert – denn es ist das einzige, das Zweifel säen und wider alle Wahrscheinlichkeit bisweilen effizient sein kann – das kompromißlose Leugnen, leugnen, daß man das Formulierte und Gehörte gesagt hat, leugnen, daß man das Getane und Erlittene getan hat, es ist zum Verzweifeln, daß man rigoros und unbarmherzig ausführen kann, was die vorangehenden Worte ankündigen, die aus so vielen und so unterschiedlichen Mündern kommen können, aus dem Mund des Anstifters und des Drohenden, aus dem Mund dessen, der die Erpressung ahnt und dessen, der seine Lüste oder Erfolge verstohlen bezahlt, und auch aus dem Mund einer Liebe oder eines Freundes, und dann erfaßt uns mit ihnen die Verzweiflung, verleugnet zu werden.)
    All diese Sätze, die wir im Kino gehört haben, habe ich gesagt oder man hat sie mir hingeworfen oder ich habe sie von anderen gehört im Verlauf meiner Existenz, das heißt, im Leben, das sehr viel enger mit dem Kino und der Literatur verknüpft ist als man gemeinhin zugibt und glaubt. Das heißt nicht, daß das eine das andere oder das andere das eine nachahmt, wie behauptet wird, sondern daß unsere zahllosen Einbildungen ebenfalls zum Leben gehören und dazu beitragen, es zu erweitern und zu komplizieren und es trüber und zugleich annehmbarer zu machen, wenn auch nicht erklärbarer (oder doch, sehr selten). Sie ist sehr dünn, die Linie, die die Tatsachen von den Einbildungen trennt und die Wünsche von ihrer Erfüllung und das Fiktive vom Geschehenen, denn in Wirklichkeit sind die Einbildungen schon Tatsachen und die Wünsche ihre Erfüllung, und das Fiktive geschieht, auch wenn nichts davon so ist für den gesunden Menschenverstand oder für die Gesetze, die zum Beispiel einen abgrundtiefen Unterschied zwischen dem Vorsatz und dem Verbrechen oder dem begangenen und dem versuchten Verbrechen machen. Doch das Bewußtsein hat die Gesetze nicht präsent, und der gesunde Menschenverstand interessiert es nicht und betrifft es nicht, nur jedes Bewußtsein sein eigenes Verständnis, und diese so dünne Linie verschwimmt nach meiner Erfahrung oft und trennt nichts mehr, wenn sie verschwindet, und so habe ich fürchten gelernt, was durch den Kopf geht, und sogar das, was der Kopf noch nicht weiß, weil ich fast immer gesehen habe, daß schon alles da war, irgendwo, bevor es in den Kopf kam oder durch ihn hindurchging. Ich habe daher nicht nur das fürchten gelernt, was man ausdenkt, die Idee, sondern das, was ihr voraufgeht oder vor ihr existiert. Und so bin ich mein eigener Schmerz und mein Fieber.

M eine Gabe oder mein Fluch ist nichts, was nicht von dieser Welt wäre, was auch heißen soll, daß sie weder etwas Übernatürliches, Außernatürliches, Widernatürliches oder Unnatürliches ist noch
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