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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied
Autoren: Javier Marias
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später wieder diese Frage stellen, ›Wieso kann man nicht? Wieso kann man nicht einfach so verprügeln und töten, wie du gesagt hast?‹ Und ich hatte noch keine Antworten, die bei ihm getaugt hätten, ich mußte weiter an das denken, woran wir nie denken, weil wir es für allgemeingültig, das heißt für unveränderlich und bekannt und wahr halten. Die mir im Kopf herumgingen, taugten für die Mehrheit, jeder konnte sie formulieren; aber nicht für Reresby, vielleicht war er noch Reresby oder hörte niemals auf, es zu sein, und war immer alle, zugleich Ure und Dundas und Reresby und Tupra und wer weiß wie viele Namen noch im Lauf seines bewegten Lebens an so vielen unterschiedlichen Orten, obwohl er jetzt seßhaft geworden zu sein schien. Sie waren sicher Legion, seine Namen, und er erinnerte sich nicht bis zum letzten an sie, oder bis zum ersten, wer soviel Erfahrung anhäuft, vergißt oft, was er in einem bestimmten Zeitraum oder in mehreren verschiedenen getan hat. Und in so einem Menschen bleibt nicht einmal eine Spur von der Person, die er damals gewesen ist, es ist, als wäre er nicht gewesen.
    »Manche helfen aber auch in diesen Situationen«, murmelte ich ohne den geringsten Nachdruck. »Manche helfen dem anderen, ins Boot zu steigen, oder retten ihn aus den Flammen und riskieren dabei ihr eigenes Leben. Nicht alle rennen panisch davon, um sich in Sicherheit zu bringen. Nicht alle lassen zurück, wen sie nicht kennen.«
    Und mein Blick blieb auf die Flammen gerichtet wie festgefroren. Als wir gekommen waren, hatten wir im Kamin noch die glühenden Überreste eines früheren Feuers vorgefunden, und es hatte Tupra wenig Mühe gekostet, es wieder zum Brennen zu bringen, bestimmt zum Vergnügen oder um Heizkosten zu sparen, ich merkte, daß die Heizung niedrig eingestellt war, viele Engländer haben den Tick, auf diese Weise ihren Geldbeutel zu schonen, egal, wie reich sie sind. Jedenfalls hatte er offenbar Dienstpersonal oder er lebte in seinem dreistöckigen Haus nicht allein, das sich in der Tat in Hampstead befand, die Gegend war fast luxuriös oder zumindest von Leuten mit Geld bewohnt, vielleicht verdiente er sehr viel mehr, als ich vermutet hätte (ich hatte aber auch nicht darüber nachgedacht), er war schließlich Beamter, wie hoch sein Posten auch sein mochte, und ich hielt ihn nicht für sehr hoch. Demnach gehörte das Haus vielleicht nicht ihm, sondern Beryl, und er verdankte es seiner noch nicht aufgelösten Ehe oder aber seiner ersten und einer vorteilhaften Scheidung, Wheeler hatte mir erzählt, daß er zweimal geheiratet hatte und daß Beryl plante, ihn zurückzuerobern, weil sie sich seit ihrer Trennung in keinerlei Hinsicht verbessert hatte. Oder Tupra verfügte über andere Einnahmequellen als seinen bekannten Beruf oder bezog Extravergütungen (›die häufigen angenehmen Überraschungen, noch dazu in bar‹, wie Peter gesagt hatte), die meine Vorstellungskraft um einiges überstiegen. Es erschien mir unwahrscheinlich, daß er ein solches Haus vom ersten britischen Tupra geerbt hätte, selbst vom zweiten, der eine wie der andere waren vermutlich Emigranten irgendeines Landes von niederem Rang gewesen. Aber wer konnte das wissen, vielleicht waren der Großvater oder der Vater clever gewesen und hatten ein rasches Vermögen zusammengetragen, alles ist möglich, unter Umständen ein schmutziges oder eines aus Wucher oder Bankgeschäften, was dasselbe ist, die fliegen wie der Blitz, nur daß sie bleiben und wachsen, oder hatten sie etwa reich geheiratet, wahrscheinlich war es nicht, es sei denn, sie hätten bereits mit unwiderstehlicher Klugheit auf die Frauen gewirkt, und diese wäre ihr Vermächtnis an ihren Nachfahren gewesen.
    Wir befanden uns in einem geräumigen Salon, der nicht der einzige des Hauses war (ich hatte einen weiteren vom Flur aus gesehen, oder es war nur ein Billardzimmer, es hatte einen grün bezogenen Tisch), mit gediegenen Möbeln, gediegenen Teppichen, sehr teuren Regalen (das vermag ich einzuschätzen) und darin sehr edlen, teuren Büchern (das vermag ich von weitem zu sehen und mit einem einzigen Blick), und ich erkannte an den Wänden zweifelsfrei einen Stubbs mit Pferden und wahrscheinlich einen großformatigen Jean Béraud, eine Szene aus einem alten eleganten Kasino, Baden-Baden oder Monte Carlo, und möglicherweise einen De Nittis in diskreteren Abmessungen (denn auch das kann ich beurteilen), eine Gesellschaftsszene im Park mit reinrassigen Pferden im
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