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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied
Autoren: Javier Marias
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außergewöhnliche, die man so nicht kaufen konnte. Ich hatte nicht verfolgt, wieviel Tupra im Lauf des endlosen Abends getrunken hatte, der noch immer nicht endete, doch nicht weniger als ich, nahm ich an, und ich mochte keinen Tropfen mehr trinken oder es ging keiner mehr in mich hinein, ihm schien der Alkohol nichts anzuhaben oder man konnte ihm die Wirkung nicht anmerken. Sein Erschrecken und Bestrafen oder Verprügeln oder thrashing von De la Garza hatten nichts damit zu tun, in alldem hatte er präzise und berechnend gehandelt. Aber wer weiß, ob die Entscheidung, ihm seinen variierenden Tod – die Varianten seines Todes – vor Augen zu führen und uns beide am Leben zu lassen, damit wir sie immer in Erinnerung behielten, damit zusammengehangen hatte, der Entschluß, etwas zu tun, fällt selten mit der eigentlichen Handlung zusammen, obwohl sie aufeinanderfolgen und sogar gleichzeitig zu sein scheinen, vielleicht hatte er ihn mit benebeltem, mit rauchendem Kopf gefaßt, und dieser war frei geworden und abgekühlt in den wenigen Minuten, in denen ich mit unserem vertrauensvollen Opfer in der Behindertentoilette auf ihn gewartet hatte, ich hatte es ihm unter Täuschungen und mit dem falschen Versprechen einer guten Linie dorthin geführt, obwohl ich in dem Moment nicht wußte, wozu ich ihm das Opfer an den angegebenen Ort brachte und daß das Versprechen nur ein Vorwand war. Ich hätte es mir denken, ich hätte es vorhersehen müssen. Ich hätte mich dem allen verweigern müssen. Ich hatte Tupra das Opfer zurechtgelegt, ich hatte es ihm serviert, ich hatte am Ende teil daran gehabt. Aus Neugier wollte ich ihn fragen: ›War das echtes Koks, was du dem armen Teufel gegeben hast?‹ Aber wie es nach Gesprächspausen oft passiert, redeten wir beide gleichzeitig los, und er kam mir einen Sekundenbruchteil zuvor, indem er auf das letzte antwortete, das ich gesagt hatte:
    »O ja. Ja, natürlich«, murmelte Reresby, wie von Trägheit erfaßt. »Es gibt immer jemanden, der sich beim Handeln zuschaut, der sich selbst wie in einer ständigen Aufführung sieht. Der glaubt, daß es Zeugen geben wird, die seinen großmütigen oder schäbigen Tod erzählen werden, und daß es das ist, worauf es am meisten ankommt. Oder der sich welche vorstellt, wenn es sie nicht geben kann, das Auge Gottes, die Weltbühne, was du willst, das alles eben. Der glaubt, daß die Welt von ihren Erzählern abhängt und die Tatsachen davon, daß sie erzählt werden, obwohl es sehr unwahrscheinlich ist, daß sich jemand die Mühe macht, sie zu erzählen oder gerade diese zu erzählen, ich meine die, die den einzelnen betreffen. Die allermeisten Dinge geschehen nur, und weder werden noch wurden sie jemals irgendwo erfasst, das, wovon wir erfahren, ist nur ein winziger Bruchteil des Geschehens. Die meisten Leben, von den Toden ganz zu schweigen, sind schon von Geburt an vergessen und hinterlassen nicht die geringste Spur oder geraten innerhalb weniger Zeit in Vergessenheit, nach einigen Jahren, einigen Jahrzehnten, einem Jahrhundert, das ist in Wirklichkeit sehr wenig Zeit, das weißt du. Denk nur an die Schlachten, daran, wie wichtig sie für diejenigen waren, die sie sich lieferten, und bisweilen für ihre Landsleute, wie viele gibt es, von denen uns nicht einmal der Name mehr etwas sagt, heutzutage ist uns sogar der Krieg unbekannt, zu dem sie gehörten, und außerdem sind sie uns gleichgültig. Was bedeuten heute irgend jemandem Ulundi und Beersheba oder Gravelotte und Rezonville oder Namur oder Maiwand, Paardeberg und Mafeking oder Mohács oder Nájera?« Den letzten Ort sprach er nicht richtig aus. »Doch viele lehnen sich dagegen auf, außerstande, sich als bedeutungslos oder als unsichtbar zu akzeptieren, ich meine, wenn sie erst einmal tot sind und in vergangene Materie verwandelt, wenn sie nicht mehr gegenwärtig sind, um ihre Existenz zu verteidigen, um zu rufen: ›He, hier bin ich. Ich kann eingreifen und Einfluß nehmen, Gutes tun oder Schaden verursachen, retten oder quälen und sogar den Lauf der Welt verändern, da ich noch nicht verschwunden bin.‹ – ›Ich bin noch, also ist es sicher, daß ich gewesen bin‹, dachte ich oder erinnerte ich mich, gedacht zu haben, während ich den roten Fleck auf Wheelers Treppe entfernte und sein Rand nicht ganz weggehen wollte (wenn es denn diesen Fleck gegeben hatte, ich zweifelte immer mehr daran), das Bemühen der Dinge und der Menschen, um zu vermeiden, daß wir sagen: ›Nein, das ist nicht
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