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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied
Autoren: Javier Marias
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diesem Augenblick ihr Gesicht vor Augen hätte, aber ihre äußere Erscheinung wohl. Eine üppige Platinblonde, nicht?, kurvenreich, sie hat in den fünfziger Jahren in Komödien mitgespielt, oder vielleicht in den Sechzigern. Ziemlich vollbusig.«
    »Ziemlich? Heiliger Himmel, du kannst dich überhaupt nicht an sie erinnern, Jack. Wart mal, ich werde dir ein amüsantes Foto zeigen, ich habe es hier bei der Hand.« Es kostete Tupra keine große Mühe, es zu finden. Er stand auf, ging zu einem Regal, bewegte die Finger, als würde er behutsam die Zahlenkombination eines Geldschranks eingeben, und holte etwas hervor, das wie ein dickes Buch aussah, aber ein Kasten aus Holz war, nicht aus Metall, und einem Buchband nachempfunden. Er legte ihn hin, öffnete ihn an Ort und Stelle und wühlte zwei Minuten in den Briefen, die er aufbewahrte, von wem mochten sie wohl sein, daß er sie derart griffbereit hatte, so nahe. Dabei ließ er Asche auf den Teppich fallen, den Daumen an der Zigarettenspitze seiner Rameses II , als wäre das ganz egal. Er hatte Dienstpersonal, das war sicher. Ständiges. Schließlich zog er vorsichtig eine Postkarte aus einem Umschlag und brachte sie zu mir, eingeklemmt zwischen Zeige- und Mittelfinger. »Hier ist es. Sieh mal. Jetzt wirst du dich besser an sie erinnern, mit aller Deutlichkeit. In gewissem Sinne ist sie unvergeßlich, wenn man sie als Junge entdeckt hat. Mulryans Faszination ist durchaus nachvollziehbar. Unser Freund muß zügelloser sein, als es den Anschein hat. Zweifellos nur in seinem Privatleben. Oder er war es jedenfalls einmal«, fügte er hinzu.
    Ich nahm das Schwarzweißfoto mit den gleichen Fingern, die Tupra benutzt hatte, und tatsächlich mußte ich sogleich schmunzeln, während er sich in ähnlichen Worten darüber ausließ, wie sie mir durch den Kopf gingen. An einem Tisch, Seite an Seite, bei einem Abendessen oder kurz davor oder beim Nachtisch (es gibt ein paar große Tassen, die Unklarheit stiften), sitzen zwei damals berühmte Schauspielerinnen, links im Bild Sophia Loren und rechts Jayne Mansfield, ihre Gesichtszüge tauchten sofort aus ihrer Verschwommenheit auf, als ich sie wieder sah. Die Italienerin, die nicht gerade flach, eher üppig war – ein weiterer lange währender Traum von vielen –, trägt einen recht züchtigen Ausschnitt zur Schau und betrachtet aus dem Augenwinkel, aber unverhohlen, die Pupillen rutschen ihr weg, ohne daß sie sie beherrschen könnte, gleichsam mit einer Mischung aus Neid, Erstaunen und Schrecken, oder sollte man sagen, mit ungläubiger Bestürzung die sehr viel ausladenderen und entblößteren Brüste ihrer amerikanischen Kollegin, die wirklich spektakulär und hervorragend sind (sie lassen ihren eigenen Busen kärglich erscheinen, durch den Gegensatz), mehr noch in einer Zeit, in der Brustvergrößerungen unwahrscheinlich oder jedenfalls selten waren. Mansfields Brüste wirken natürlich, soweit man das beurteilen kann, nicht verhärtet, nicht steif, angenehm weich und mit vorstellbaren Bewegungen (›Wären mir heute abend doch solche zuteil geworden und nicht die felsigen von Flavia‹, dachte ich flüchtig), und sie waren in jenem römischen oder, wer weiß, amerikanischen Restaurant gewiß apotheotisch, umso verdienstvoller der Gleichmut des Kellners, der zwischen beiden zu erkennen ist, im Hintergrund, nur die Gestalt, das Gesicht liegt im Schatten, obwohl man sich fragen könnte, ob er seine weiße Serviette nicht als Schild oder Schirm benutzt. Links von der Mansfield sitzt ein männlicher Tischgast, von dem man nur eine Hand sieht, die einen Löffel hält, ihm mußten die Augen nach rechts übergehen so wie die der Loren nach links, sicher mit andersartiger Gier. Anders als ihre italienische Kollegin blickt die Platinblonde mit einem herzlichen, ein wenig starren Lächeln direkt in die Kamera, wenn nicht sorglos – sie weiß sehr wohl, was sie zu bieten hat –, so doch mit absoluter Ruhe: Sie ist die Neuheit in Rom (wenn sie denn in Rom sind) und sie hat die lokale Größe entthront, hat sie prüde erscheinen lassen. Eine Frau mit schönen Gesichtszügen, Jayne Mansfield, jetzt stieg doch eine Kindheitserinnerung in mir auf, und mit ihr stellte sich ein Titel ein, Sheriff wider Willen: groß der Mund und die Augen groß, von Kopf bis Fuß vulgäre, große Schönheit. Für kleine Jungen, das stimmte; auch für viele Erwachsene, wie mich selbst.

    Darüber sprach Tupra, und das dachte ich, während er mich aufklärte.
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