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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied
Autoren: Javier Marias
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gewesen war in seinem fernen, ausgelöschten Neuseeland, und auch von seinem Bruder Peter. Tupra hatte mir des weiteren einige Videos in Aussicht gestellt, die er zu Hause aufbewahrte und nicht im Büro, ›Sie sind nicht für jeden bestimmt‹, hatte er gesagt, mir dagegen würde er sie zeigen, worum ging es in ihnen und warum sollte ich sie sehen, vielleicht wäre es mir lieber, sie niemals vor Augen zu haben; ich könnte sie immer schließen, obwohl sie sich unvermeidlich ein wenig zu spät schließen, wenn man die Entscheidung dazu trifft, ein wenig zu spät, um nicht etwas zu erkennen und sich eine schreckliche Vorstellung zu machen und etwas mitzubekommen. Oder aber man hat sie schon fest geschlossen und glaubt, daß der Anblick oder die Szene vorbei seien, wenn das noch nicht der Fall ist – der Ton täuscht, und mehr noch täuscht die Stille –, und dann öffnet man sie zu früh.


    W as war mit Jayne Mansfield? Was hatte sie mit Kennedy zu tun?« bedrängte ich ihn. Ich würde nicht zulassen, daß er weiter umherirrte und seine Abschweifungen verfolgte, nicht an diesem auf seine Aufforderung hin verlängerten Abend; daß er von einer Hauptsache zu einer Nebensache überging und von dieser zu einer Klammer und von der Klammer zu einem Einschub und daß er, wie er es bisweilen tat, von seinen endlosen Verzweigungen niemals zurückkehrte, es kam fast immer ein Augenblick, in dem seine Abweichungen keinen Weg mehr erreichten, sondern nur Gestrüpp oder Sand oder Morast. Tupra war imstande, jeden endlos zu unterhalten, das Interesse anderer an dem zu wecken, was an sich uninteressant und nebensächlich war, er gehörte zu jener seltenen Art von Menschen, die das Interesse mit sich herumtragen oder es schaffen, wie soll man sagen, sie führen es mit sich, sie haben es auf den Lippen. Sie sind von allen am wenigsten zu fassen, und sie sind am überzeugendsten.
    Er warf mir einen ironischen Blick zu, ich weiß, daß er nachgab, weil er es so wollte, er hätte sogar beharrlich Schweigen bewahren, hätte es lange genug aushalten können, um meine beiden Fragen in Luft aufzulösen und sie so auszulöschen, sie verlorengehen zu lassen, als hätte niemand sie formuliert und als wäre ich nicht da. Aber ich war da.
    »Nichts. Nur, daß sie Personen sind, die von ihrem Ende geprägt sind. Im Übermaß davon gezeichnet, so sehr, daß sie dadurch definiert oder geformt sind und das, was sie zuvor getan haben, fast aufgehoben ist, auch wenn es wichtige Dinge waren, und bei der Mansfield war das nicht der Fall. Diese beiden Personen hätten Anlaß gehabt, unter erzählerischem Horror zu leiden, wie du von Dick Dearlove gesagt hast, wenn sie gewußt hätten, was ihnen an ihrem Ende drohte. Sowohl John Kennedy als auch Jayne Mansfield hätten unter ihrem eigenen Komplex gelitten, ›K-M‹, wie wir ihn genannt haben, wenn sie ihren jeweiligen Tod erahnt oder befürchtet hätten. Natürlich gäbe es noch viele mehr, was weiß ich, von James Dean bis zu Abraham Lincoln, von Keats bis zu Jesus Christus. Das erste, woran sich alle bei ihnen erinnern, fast das einzige, ist ihr spektakuläres oder anormales oder zu frühes oder extravagantes Ende: Dean, der mit vierundzwanzig Jahren bei einem Autounfall starb, als er eine großartige Karriere als Filmstar vor sich hatte und die ganze Welt ihn anbetete; Lincoln, der von John Wilkes Booth in bester theatralischer Manier in einer Loge ermordet wurde, kurz nachdem er den Sezessionskrieg gewonnen hatte und wiedergewählt worden war; Keats, der mit fünfundzwanzig Jahren in Rom an Tuberkulose starb, der Literatur entgingen eine Menge Gedichte; Christus am Kreuz, ein in jeder Hinsicht Erwachsener für seine Zeit, ein ganzer Mann, vielleicht etwas spät dran mit seinem Werk, doch früh verstorben, jung, ohne es vom Standpunkt unserer faulen und langlebigen Zeiten zu sein. Ich habe dir schon gesagt, wenn wir ihn K-M genannt haben, dann auf Betreiben von Mulryan. Jeder dieser anderen Namen und viele mehr hätten sich geeignet, es sind nicht wenige, die ihren gewaltigen Ruhm oder die Tatsache, daß sie nicht vergessen sind, der Art und Weise ihres Todes zu danken haben oder seinem Zeitpunkt, wenn sie eigentlich noch nicht an der Reihe waren oder wenn es sich gleichsam um einen ungerechten Tod handelte. Als ob der Tod etwas von Gerechtigkeit verstehen würde oder es ihm ein Anliegen wäre, sie zu gewähren, oder als wollte er etwas davon verstehen, es ist absurd. Er ist allenfalls
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