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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied
Autoren: Javier Marias
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willkürlich, er ist launisch, ich meine, er bestimmt eine Reihenfolge, an die er sich nicht immer hält, er wählt oder verwirft: Bisweilen kommt er entschlossen und nach allen Wahrscheinlichkeiten zu uns, fliegt über uns hinweg, schaut und entscheidet plötzlich, es auf einen anderen Tag zu verschieben. Er muß ein gutes Gedächtnis haben, um sich an jeden Lebenden zu erinnern, ohne daß ihm einer entgeht. Seine Aufgabe ist endlos, und doch erfüllt er sie seit Jahrhunderten mit exemplarischer Genauigkeit. Was für ein fleißiger Knecht, niemals legt er die Hände in den Schoß oder ermüdet. Und er vergißt nicht.«
    Seine Art, sich auf den Tod zu beziehen, ihn zu personalisieren, brachte mich abermals auf den Gedanken, daß er mehr Umgang mit ihm hatte als den üblichen, daß er ihn viele Male hatte agieren sehen und ihn womöglich einige Male verkörpert hatte. Am heutigen Abend war er entschlossen auf De la Garza zugegangen, er hatte sich ihm genähert, er hatte ihn mit seinem Landsknechtsschwert überflogen wie jener Hubschrauber mit seinem Propeller, der Wheeler und mich in dessen Garten am Fluß erschreckt hatte: Am Ende hatte er sich darauf beschränkt, uns das Haar zu zerzausen, Tupra hatte sich darauf beschränkt, ihm den falschen Pferdeschwanz abzuschneiden und seinen Kopf ins Wasser zu tauchen und ihn zu schlagen, er hatte es auf einen anderen Tag verschoben, als wäre er in der Tat Sir Death in einer Nacht der ausgeschlossenen Möglichkeiten. Oder vielleicht war Tupra als – wenn auch nicht praktizierender – Mediävist an die anthropomorphe Sicht der früheren Jahrhunderte gewohnt: Der alte, gebrechliche Mann mit der Sense oder der Ritter Tod mit seiner kompletten Rüstung und seinem Schwert und seiner Lanze, als wessen ›fleißigen Knecht‹ mochte er ihn ansehen, Gottes, des Teufels, der Menschen oder des Lebens, das sich nur so seinen Weg bahnt.
    »Ich weiß, was mit ihm geschehen ist, ich weiß, welches Ende Präsident Kennedy gefunden hat, wie jeder«, antwortete ich. »Aber ich weiß nicht, was mit Jayne Mansfield passiert ist. In Wirklichkeit weiß ich fast nichts über dieses überwältigende Stundenglas.« Und nachdem ich ihn auf diese Weise humorvoll zitiert hatte, fügte ich dem Gesagten eine spanische Note hinzu: »Ich nehme an, daß auch der Name García Lorca für den Komplex getaugt hätte. Er wäre nicht der gleiche in unserer Erinnerung, man würde seiner nicht ebenso gedenken, ihn nicht ebenso lesen, wenn er nicht gestorben wäre, wie er gestorben ist, von den Franquisten erschossen und in ein Massengrab geworfen, als er noch keine vierzig war. Obwohl er ein guter Dichter war, würde man ihm nicht so nachtrauern und ihn nicht so rühmen.«
    »Natürlich, das ist ein weiteres ziemlich klares Beispiel für ein entscheidendes Ende, für einen Tod, der immer präsent ist, der die Person umhüllt und erdrückt«, antwortete Tupra, ohne allzusehr auf meine Bemerkung einzugehen; ich fragte mich, ob er genügend über die Umstände des Mordes wusste. »Jayne Mansfield hat während ihrer kurzen, brillanten Karriere und ihres nicht sehr langen Niedergangs getan, was in ihren Händen und sicher auch in ihrem Busen lag, um die Aufmerksamkeit der Presse auf sich zu lenken und die Werbetrommel für sich zu rühren. Stets standen ihre Türen den Reportern offen, egal, wo sie war, auch in den Hotels, wenn sie reiste, in den Suiten und selbst in den Badezimmern; sie war entzückt, wenn die Fotografen nach Beverly Hills kamen, in ihr spanisch anmutendes Anwesen am Sunset Boulevard, in dem alles rosafarben war und voller kleiner Hunde und Katzen, sie zeigte sich ihnen in verführerischen Kleidungsstücken und provokanten Posen, nichts erschien ihr jemals lächerlich oder verächtlich, sie empfing jeden Idioten oder Übelgesinnten, und wenn er von der mittelmäßigsten Zeitung kam. Sie posierte ein paar Mal nackt für den Playboy , heiratete einen muskulösen Ungarn, führte dem letzten Praktikanten aus der Provinz vergnügt ihren Swimmingpool und ihr Bett vor, beide in Herzform. Sie ließ sich von dem Kraftprotz scheiden und von irgendeinem weiteren Ehemann, sie reiste nach Vietnam, um die Truppen mit ihren Anzüglichkeiten und ihren engen Pullovern zu animieren, und als sogar Las Vegas für sie unerreichbar wurde, tingelte sie mit bedeutungslosen Auftritten und spielte in italienischen Herkules-Filmen. Sie ergab sich dem Suff, wurde auffällig, produzierte mühsam Skandale, denn im Niedergang
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