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Dein Blick in meiner Morgenroete

Dein Blick in meiner Morgenroete

Titel: Dein Blick in meiner Morgenroete
Autoren: Cathy McAllister
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nicht stimmt, und es hat nichts mit meiner immer noch schmerzenden Handfläche zu tun, sondern mit Mum und Dad. Es sieht ihnen nicht ähnlich, Scherze auf Kosten ihrer Kinder zu machen.
    »Mum! Wo ist Jeremy?«, frage ich mit einem Kloß im Hals.
    »Ich weiß nicht, wann habt ihr euch denn verabredet? Er wird dich doch wohl nicht versetzt haben?« In dem Blick meiner Mutter liegt so viel aufrechtes Mitgefühl, dass ich fast glaube, sie weiß wirklich nicht, von wem ich spreche.
    Mein Herz macht sich wild pochend bemerkbar. »Wenn das hier ein Scherz sein soll, ist es ein verdammt schlechter!«, presse ich heraus. »Ich will jetzt sofort wissen, was mit Jeremy ist!«
    Dad lässt die Zeitung sinken, die er gerade wieder aufgenommen hatte, und starrt mich an. »Alison, ist alles in Ordnung?«
    »Nein! Nichts ist in Ordnung!«, blaffe ich, wütend darüber, dass meine Eltern konsequent ihr Schauspiel durchziehen. »Mein Bruder - Jeremy! Wo ist er?«
    Als beide nicht antworten, wird mir übel.
    Jeremy ist verletzt oder noch schlimmer: tot! Er ist von einem der irrsinnig hohen Bäume gefallen, in die er immer klettert, um den Eichhörnchen nachzujagen. Aber warum sagt mir niemand was?
    »Alison, du hast keinen Bruder«, sagt Mum und legt mir besorgt die Hand auf die Stirn. »Kein Fieber«, murmelt sie. »Was ist denn nur los mit dir?«
    »Was ist los mit euch? Selbstverständlich habe ich einen Bruder! Er heißt Jeremy, ist am siebzehnten Juni zehn Jahre alt geworden und euer kleiner Engel! Was ist ihm zugestoßen? Ich schreie das Haus zusammen, wenn ihr mir nicht sofort sagt, was passiert ist!« Meine Stimme überschlägt sich.
    »Du schreist ja schon das Haus zusammen. Beruhig dich, Kind. Du hast keinen Bruder!«, wiederholt Mum und schüttelt mich an den Schultern.
    Ich verstehe nicht, wie sie so etwas behaupten kann, und Wut wechselt sich mit Panik ab. Aber Mum bleibt so ernst, dass mir plötzlich der Gedanke kommt, ich könnte Jeremy tatsächlich herbeifantasiert haben. Vielleicht stimmt etwas mit mir nicht, mit meiner Wahrnehmung. Ich befreie mich aus Mums Griff und renne in mein Zimmer, um ein Foto von Jeremys letztem Geburtstag zu holen, auf dem wir alle Piratenhüte tragen. Die Tür steht einen Spalt offen, als ich sie ganz aufstoße, verliere ich das Gleichgewicht vor Schreck und muss mich am Treppengeländer festhalten. Auf dem grünen Teppich liegt ein großer, graumelierter Hund mit langem, zottigem Fell, der den Kopf hebt und mit seiner Rute klopft, als er mich sieht.
    »Was zum Teufel …? Raus! Verschwinde dahin, wo du hergekommen bist!«
    Der Hund trollt sich die Treppe runter. Ich brauche eine Sekunde, dann stürze ich zum Schreibtisch, stolpere über den Stapel Magazine, der sich über dem Teppich ausbreitet. Der Kakaofleck! Er wäre nicht da, wenn Jeremy nicht existieren würde, oder? Mit fliegenden Händen schleudere ich die Magazine beiseite. – Was? Das kann nicht sein! Er ist weg! Nichts! Nur apfelgrüne Wolle, kein Fleck. Ich bin mir sicher, nicht zu träumen, kneife mir aber trotzdem in die Wange. Es tut weh.
    Hektisch stolpere ich zu meinem Schreibtisch, reiße meine Bücher um. Das Tagebuch fällt auf die Erde, klappt auf. »Kein Schloss! Wo …« Mein Blick fällt auf die beiden Bilderrahmen, mir wird schwindelig und gleichzeitig eiskalt. Ich sehe Mum, Dad, meine Tante Rose und mich selbst beim Zelten an einem See. Die Aufnahme entstand in einem der Nationalparks im Redwood-Forest, ich muss etwa acht gewesen sein. Mit klaffender Zahnlücke grinse ich in die Kamera. Aber dort, wo Jeremy in einem Nest aus Moos sitzen sollte, das ich zusammengetragen hatte, damit er weich genug liegt, steht ein Grill. Mein Verstand will nicht glauben, was meine Augen sehen. Aber schon längst habe ich bemerkt, dass auch der andere Glasrahmen, der das Foto halten sollte, auf dem mein Bruder in wilder Piraterie einen Plastiksäbel über unseren Köpfen schwingt und wir alle so tun, als würde er uns gleich erdolchen, einem anderen gewichen ist. Es zeigt eine Aufnahme von mir und dem Hund, den ich eben aus dem Zimmer gejagt habe. Das Bild ist mit einem Herz verziert, neben dem »Buffy« steht.
    Du meine Güte! Das kann doch nicht … Wie? Ich weiß, Jeremy existiert, Millionen Dinge verbinde ich mit ihm. Kein Beweis dafür. Nirgends! Warum erinnert sich denn niemand?
    Vielleicht bin ich verrückt geworden! Vielleicht ist das gar nicht mein Leben. Ich muss fantasieren, aber alles fühlt sich so echt an. Hilfe! Ich
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