Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Zimmermaedchen

Das Zimmermaedchen

Titel: Das Zimmermaedchen
Autoren: Markus Orths
Vom Netzwerk:
echte Geräusche, es sind künstliche Geräusche, von Geräuschemachern hergestellte Geräusche, Geräuschemacher, die jeden Schritt der Schauspieler, jedes Klatschen, Knarren, Krachen vertonen, selbst Pferdegetrappel können sie nachmachen, dazu gibt es diese komischen Dinger, die aussehen wie Kastagnetten. Und fast nie ist es still im Film. Genau wie in uns, denkt Lynn. Wir alle, denkt sie, sind bloß Geräuschemacher.
    Am Mittwoch kaut Lynn ihre Nägel. Sie verflucht die Tatsache, dass es freie Tage gibt. Was soll an diesem Tag frei sein?
    Am Donnerstag liegt sie ab sieben unterm Bett. Sie wird unruhig. Eigentlich müsste sie in einer halben Stunde ihre Mutter anrufen. Sie verzichtet darauf. Sie weiß, dass ihre Mutter sich Sorgen machen wird, aber Lynn denkt, ich ruf sie an, wenn wir gelandet sind. Lynn liegt unterm Bett eines Manns mit schwarzem Anzug. Beim Putzen hat sie einen Haufen Kaugummipackungen entdeckt. Keine Zigaretten. Der Gast kommt früh: Es knistern Papiere, ein Pling, wenn eine E-Mail verschickt wird, und ein Pling, wenn eine E-Mail eintrifft. Währenddessen spricht der Mann ab und zu mit sich selbst. Nicht mit mir, sagt er, nicht mit mir. Als das Handy klingelt, hört Lynn die Hälfte eines Gesprächs, im Wesentlichen sind es Zahlen, vielleicht geht es um Börsenkurse, vielleicht um Aktenzeichen, einmal sagt der Mann einfach nur vierundzwanzig, als Antwort auf eine Frage, vierundzwanzig, sagt der Mann, dann Pause, dann dreihundertelf, das könnte die Zimmernummer sein, es könnte aber auch sonst was bedeuten, dann sagt er das Wort willfährig, einfach nur dieses Wort, und Lynn weiß nicht so recht, was das Wort bedeutet, willfährig, und auf welche Frage dieses Wort eine Antwort sein könnte, die Füße des Manns sind nackt, die Waden stachelig, einmal bleibt er auf einem Bein stehen und kratzt sich mit dem rechten Spann die linke Wade, der Ballen ist von gelblicher Hornhaut überwuchert, und als der Fuß wieder auf dem Boden steht, sieht Lynn einen eingewachsenen Zehennagel. Der Mann legt auf und sagt Herbert, Herbert. Er sagt, das hast du gut gemacht, Herbert. Lynn weiß nicht, ob er sich selbst damit meint oder jemand anderen. Sie hört ein zischendes Geräusch, ein Gluckern, dann sagt der Mann das Wort Katarupp, ein Wort, dessen Bedeutung Lynn verschlossen bleibt, Katarupp, sagt er noch einmal und setzt sich aufs Bett, die Fersen sind gerötet und dünnhäutig, so ganz anders als die Ballen. Ein Flaschendeckel fällt auf den Teppich neben das Bett, der Mann langt nach unten, hebt den Deckel auf, er trägt an jedem Finger seiner Hand einen Ring, sogar am Daumen, kurz durchzuckt es Lynn, in einer schnellen Attacke die Hand des Manns zu packen, nur um den entsetzten Aufschrei zu hören, aber sie dreht sich weg, blickt hinauf zum Lattenrost, beruhigt sich, atmet langsam, atmet lautlos.

13
    A m Freitag putzt sie ein letztes Mal. Und während sie putzt, nimmt sie Abschied von den Zimmern. Sie kennt die Zimmer in- und auswendig inzwischen. Die Zimmer ähneln sich, in allen stehen die gleichen Möbel, nur die Eckzimmer sind größer, und die Suiten. Aber die Suiten putzt Lynn nicht. Um die Suiten putzen zu dürfen, muss man aufsteigen in der Zimmermädchen-Hierarchie. Je nachdem, wie das Licht einfällt, ändern sich die Farben. Die Nordzimmer wirken anders als die Süd- und Ostzimmer. Winkel der Sonne entscheidet über Wohl und Wehe. Ob das Pastellene zur Wirkung kommt oder zu mattem Grau schrumpft. Ob das Gelb hervorsticht oder zurücksinkt in den Schatten. Ob man die Noppen der Tapeten erkennen kann oder nicht. Ob Vorhänge in der Sonne blinzeln oder trüb herabhängen. Ob Staub tanzt oder unsichtbar bleibt. Lynn weiß genau um die Unterschiede der Zimmer. Sie ist einmal kurz davor gewesen, den Zimmern Namen zu geben, aber das schien ihr zu abwegig. Hätte sie den Zimmern Namen gegeben, wäre Zimmer 300 auf den Namen Josef getauft worden. Bei Josef gab es den schwarzen Fleck in der Badewanne, den Lynn vor Wochen schrubbte, ehe sie merkte, dass es kein Schmutz war, sondern ein Loch im Emaille. Ein Gast hat etwas Hartes fallen lassen. Lynn hat umgehend einen Techniker benachrichtigt und zugeschaut, wie dieser den schwarzen Fleck mit einer zähen Masse zuspachtelte. Es gelang ihm gut, die Stelle wirkte wieder weiß, und sähe man nicht genau hin, würde es nicht auffallen, doch so sehr sich Lynn bemüht, sie sieht immer genau hin, und beim Putzen kommt sie nie über diese Stelle hinweg, diese
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher