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Das Zimmermaedchen

Das Zimmermaedchen

Titel: Das Zimmermaedchen
Autoren: Markus Orths
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Mutter.
    »Guckst du noch was?«, fragt Lynn.
    »Ja.«
    »Was denn?«
    »Eine Talkshow.«
    »Jetzt noch?«
    »Mit Frank Elstner.«
    »Wann fängt die an?«
    »Um zwanzig nach zehn.«
    »Und was machst du bis dahin?«
    »Ich räum das Wohnzimmer auf.«
    »Das ist doch aufgeräumt.«
    »Och, man findet immer was, wenn man sucht.«
    »Nacht, Mutter.«
    »Nacht, Lynn.«
    Mutter geht die Treppe runter, während Lynn hinterhersieht und eine Weile stumm dasteht. Dann legt sie den Rucksack aufs frisch gemachte Bett, packt Kultursachen aus, geht ins obere Bad, putzt Zähne, zieht Schlafanzug an, Schlafsocken: Schlafanzug rosarot, Schlafsocken knallgelb. Lynn schlägt die Bettdecke zurück, setzt sich, sitzt einfach nur da und tut nichts. Als sie ins Bett kriechen will, hält sie inne. Sie horcht. Etwas stimmt nicht im Zimmer, ist nicht in Ordnung, etwas stört sie, ist es ein Summen, ist es das Ticken des Weckers, nein, es ist kein äußeres Geräusch, es kommt von innen, sitzt ihr im Ohr und in der Brust, sie weiß es nicht, und Lynn lässt ihr Zimmer allein in der Dunkelheit und schleicht noch mal die Treppe runter und meidet die siebte und zehnte Stufe, weil sie weiß, dass sie knarren, doch auch die zwölfte Stufe knarrt, das ist neu, Lynn hält inne, aber Mutter hat nichts gehört, Lynn geht weiter, kniet sich vor die Wohnzimmertür, schaut durchs Schlüsselloch, sieht Mutter in den Fernseher blicken, sieht Augen der Mutter, die nicht achten auf das, was aus dem Fernseher kommt, Lynn geht durch den Flur und öffnet die Tür zum Eltern-Schlafzimmer, das lange schon kein Eltern-Schlafzimmer mehr ist, nur noch Mutter-Schlafzimmer, ein Schlafzimmer, in dem nur noch geschlafen wird, Lynn lässt das Licht aus, sie will nicht sehen, dass sich nichts verändert hat, der Geruch genügt ihr, ein bisschen Kölnisch Wasser, ein bisschen Staub von der dicken Tagesdecke und den Vorhängen am Fenster, ein bisschen Fäulnis, von der Feuchtigkeit, die aus dem Keller steigt, Lynn fröstelt, sie denkt, vielleicht hätte ich meinen Mantel überziehen sollen, aber jetzt ist es zu spät: Noch einmal will sie nicht nach oben gehen, am Wohnzimmer vorbei, über knarrende Stufen.
    Lynn legt sich auf den Boden und schiebt sich unters Bett. Sie niest. Ihre Lider schließen sich nicht. Dann wartet sie, die Hände am Lattenrost.
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