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Das Wrack

Titel: Das Wrack
Autoren: Friedrich Gerstäcker
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bisschen ins Fleisch schneiden, geschieht ihm Recht, dem störrischen Halunken.«
    »Nein, Steuermann«, rief aber der Mann zurück. »Das ist hier drin – hol mich dieser und jener, da drin liegt jemand«, und er kletterte dabei hastig über sein Fass zurück, als ob er befürchtete, dass da der Geist eines der Erschlagenen vielleicht umgehen oder ein anderes Schreckbild vor ihm auftauchen könne.
    Der Mate hob mahnend seine Hand empor und horchte – alles war totenstill; da plötzlich drang ein leises, aber deutliches Stöhnen von dort heraus.
    »Beim Himmel, du hast Recht, Bob«, rief jetzt der Mate, »da drinnen liegt ein lebendes Wesen, was es auch sei, ein Hund oder Mensch, aber heraus müssen wir es haben. Eine Axt her – dort drüben habe ich eine liegen sehen.«
    Das verlangte Werkzeug war rasch gefunden, und der Bootsmann hatte mit ein paar Hieben das eine Brett losgeschlagen. Jetzt vermochten sie das Werkzeug hinter die andere Planke zu bringen, und wenige Minuten später hatten sie die Rückwand des Verschlages so weit herausgebrochen, dass sie bequem den engen Raum betreten konnten.
    Es waren starke, beherzte Männer, die hier in dem fremden Fahrzeug ihr Rettungswerk begannen, aber trotzdem schlug ihnen doch das Herz fast hörbar in der Brust, als sie, mit ihren Laternen vorleuchtend, in den düstern, unheimlichen Raum traten, der ihnen irgendein unbekanntes Schrecknis enthüllen sollte. Aber keiner sprach ein Wort – lautlos stiegen sie über die nächsten, noch im Weg stehenden Kisten hinweg, und der Raum war hier durch das niedere Deck so beengt, dass sie auf ihren Knien verkriechen mussten; aber dass sie sich nicht geirrt, bewies ihnen jenes, wenn nicht lauter, doch deutlicher gewordene Stöhnen.
    Der Steuermann war voran hineingekrochen, und die Lampe hochhebend, erkannte er bei dem matten, unsichern Schein derselben eine menschliche Gestalt, die anscheinend gebunden am Boden lag! Aber, großer Gott, wie sah der Unglückliche aus! Mit zerrissenen Kleidern und blutbedeckt, die Hände auf dem Rücken zusammengebunden, mit nicht einmal Raum genug, sich auszustrecken, lag er, wie zwischen die Kisten hineingeworfen – nur noch Leben war in dem Körper und vielleicht ein Gefühl seines Elends und Jammers – weiter nichts.
    Bewusstsein konnte der Unglückliche kaum noch haben, sonst hätte er seinen Rettern entgegengerufen und sie um Hilfe angefleht, aber er rührte und regte sich nicht, als die vier Männer, stumm vor Entsetzen, sich um ihn scharten, und nur als sich der Steuermann endlich mit einem aus tiefer Brust geholten Seufzer zu ihm niederbog, um ihm den Kopf etwas in die Höhe zu heben, teilten sich seine Lippen, und mit einem leisen, kaum hörbaren Laut flüsterte er:
    »Wasser!«
    Der Steuermann warf den Blick umher. Dicht neben ihm stand die geöffnete Kiste mit Flaschen.
    »Was ist da drin?«, fragte er.
    Bob hatte schon eine der Flaschen herausgenommen, hielt sie ans Licht und las: »Sherry.« Ohne auch weiter einen Befehl abzuwarten, schlug er den Hals der Flasche an der nächsten Kiste ab, riss seinen Hut herunter, goss von dem Wein hinein und hielt ihn dem Verschmachtenden an die Lippen. Der Bootsmann hatte indessen sein Messer herausgenommen und die Seile durchschnitten, die um die blutenden und eiternden Gelenke des Unglücklichen saßen, und während der Steuermann ihn jetzt mit dem Oberkörper emporrichtete, flößten sie ihm etwas von dem stärkenden Wein ein.
    Aber die Luft hier unten war so schwül und dumpf, dass es selbst die von draußen eben hereinkommenden Männer kaum ertragen konnten. Es mag auch sein, dass sie der furchtbare Anblick hier übermannte, aber sie sehnten sich nach frischer Luft – hinaus aus dem engen entsetzlichen Raum.
    Dicht neben der Stelle, wo der Unglückliche lag, führte eine kleine Treppenleiter zu einer Klappe im Deck und, wie sich bald zeigte, im Boden der Kajüte, und diese öffnete sich jetzt, während der bei dem Gefangenen Wache haltende John niederrief:
    »Was zum Henker habt ihr denn da gefunden – was ist's?«
    » Wirf einmal ein Leintuch aus einer der Kojen herunter, John«, lautete aber die Rückantwort des Mate. »Hier liegt ein halbtoter Mensch, den wir hinaufschaffen müssen.«
    » Ein Mensch?«
    »Rasch – rasch – wer weiß, ob er noch lange genug lebt, um uns Auskunft zu geben.«
    John verschwand von der Öffnung, aber schon wenige Sekunden später flog eins der Betttücher hinab, und die Matrosen hoben so vorsichtig und
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