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Das Wrack

Titel: Das Wrack
Autoren: Friedrich Gerstäcker
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sorgsam wie nur möglich den Verwundeten hinein, um ihn damit besser durch die Luke in die Kajüte hinaufheben zu können.
    Das war kein leichtes Stück Arbeit, aber es ging mit Hilfe der Leiter, und wie sie nur erst einmal den Oberkörper so weit hinauf hatten, dass John das Leintuch fassen konnte, brachten sie den indes ohnmächtig Gewordenen wenigstens in die Kajüte.
    Aber auch hier durfte er nicht bleiben, denn auch hier war es dumpf und schwül, und ohne den Unglücklichen auch nur auf den Boden zu legen, trugen sie ihn aus der Tür hinaus, an die frische Luft, um ihn dort an Deck zu legen. John sprang indessen in des Kapitäns Kajüte, riss dessen blutige Matratze heraus, wobei er eine darunterliegende Brieftasche fand und einsteckte. Er schleppte dann die Matratze hinauf, auf welche sie jetzt den Armen betteten, und während einer der Leute einen Eimer Wasser aus See zog, um ihm Schläfe und Stirn zu waschen, suchte ihm der Steuermann nochmals ein paar Tropfen Wein einzuflößen.
    An den Gefangenen hatte indessen, in der Erregung über die neue Entdeckung, niemand gedacht, oder sich um ihn gekümmert: lag er doch auch fest gebunden im Schiff und konnte ihnen also gar nicht entgehen; aber er war ein aufmerksamer Zeuge des Ganzen gewesen, und so teilnahmslos und gleichgültig er sich bis jetzt gezeigt, so wilde Leidenschaften schienen ihn in diesem Augenblick zu beherrschen.
    Schon bei dem ersten Geräusch, als die Seeleute da unten die Planken des Verschlags auseinander hieben, war er zusammengezuckt, und wenn er auch seinen Wächter nicht merken ließ, was in ihm vorging, knirschte er doch seine Zähne fest und ingrimmig zusammen und suchte vergebens seine Arme aus der ihn haltenden Schlinge zu befreien.
    John achtete dabei gar nicht auf ihn – er hörte, dass da unten etwas Besonderes vorging, und horchte, bis er die Stimme der Seinen dicht unter der Luke vernahm und diese dann öffnete. Jetzt war er mit den anderen oben an Deck beschäftigt, den Bewusstlosen ins Leben zurückzurufen, und wie nötig wäre er gerade in diesem Augenblick in der Kajüte gewesen! Dort lag der Gefangene und zerrte an seinen Banden, aber nicht mehr verzweifelnd und in blinder, seine Kräfte erschöpfender Leidenschaft, sondern vorsichtig und geschickt. Er hatte gefühlt, dass die eine Schlinge, die ihn hielt, etwas nachgelassen, und während er die linke Hand herüber und hinüber drehte, zwang er sich die Schnur weiter und weiter über den Daumen. Die Haut riss er sich wund dabei, aber er fühlte keinen Schmerz; der Schweiß trat ihm von der Anstrengung auf die Stirn, aber er empfand keine Erschöpfung und jetzt – jetzt hatte er die linke Hand heraus. Im Nu war nun das lockere Seil auch über die rechte Hand gestreift, und das Feuerzeug vom Tisch aufgreifend, sprang er damit in die nämliche Luke hinunter, aus welcher die Leute der Betsy Ann eben erst den unglücklichen Gefangenen befreit hatten.

6. Unerwartete Störung
    Die Matrosen hatten indes die Genugtuung, das arme misshandelte Menschenkind wieder ins Leben zurückzurufen, und dazu trug wahrscheinlich ebenso viel die frische balsamische Nachtluft als die eingeflößte Erfrischung bei. Nasse Tücher wurden ihm außerdem um die Stirn gelegt, und ordentlich rührend war es zu sehen, wie sich die rauen Seeleute mit fast weiblicher Sorgfalt bemühten, ihm sein Lager bequemer zu machen oder irgendetwas zur Linderung seiner Schmerzen beizutragen.
    Rätselhaft blieb freilich immer noch der Zusammenhang des Ganzen – wie der trunkene wüste Bursche allein in die Kajüte, wie der Gebundene da hinab in den Raum kam, wenn auch ein dunkler Verdacht über den Zusammenhang in dem Herzen des Steuermanns aufstieg. Jedenfalls beschloss er, unter den jetzigen Umständen den Tagesanbruch nicht abzuwarten, sondern lieber gleich mit dem, was sie an Deck geschafft, und dem Gefangenen wie dem Verwundeten an Bord zurückzukehren, wo dieser auch bessere Pflege finden konnte wie hier. Brachten sie den armen Teufel dann so weit, dass er nur eine Andeutung über das Geschehene geben konnte, so entschloss sich Kapitän Wilkie vielleicht, einen Tag daranzuwenden und die Launch noch einmal herüberzuschicken – es lohnte immer der Mühe. Aber der Gefangene –
    »Alle Wetter!«, rief der Steuermann plötzlich, als ihm der wieder einfiel. »Was tust du den hier an Deck, John? Drunten in der Kajüte –«
    Er konnte seinen Satz nicht beenden, denn ein furchtbarer Schlag schmetterte in dem Augenblick
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