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Das Wolkenvolk 03 - Drache und Diamant

Das Wolkenvolk 03 - Drache und Diamant

Titel: Das Wolkenvolk 03 - Drache und Diamant
Autoren: Kai Meyer
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ein Schluchzen drang hervor, teils vor Erleichterung, teils vor Schmerz, vor allem aber, weil ihr auf einen Schlag klar wurde, welchem Schicksal sie gerade entronnen war.
    Eine Weile lang blieb sie auf dem Rücken liegen und blickte zu den fernen Pumpen auf dem Gipfel empor, winzige Nadeln vor der Lichtaureole des Mondes. Sie hatte das Gefühl, dass die Wolke unter ihr vibrierte wie von einem geheimen Herzschlag tief im Inneren. Ihre zitternde Hand kroch abwärts und spürte die sanfte Wölbung von Metall unter dem Stoff ihrer Jacke.
    Der Schlüssel zur Aetherpumpe.

Vor dem Sturm
    Der Frieden über den Wolken war trügerisch.
    Niccolo saß allein auf einer Felsspitze, einem der höchsten Gipfel der Himmelsberge, und blickte hinab auf das brodelnde Wolkenmeer. Hätte er die Flanke des Berges erklimmen müssen, um hier heraufzugelangen, so hätte ihn das Tage gekostet - schlimmstenfalls sein Leben. Stattdessen hatte ihn der Riesenkranich eines Unsterblichen zum Gipfel getragen, durch die graue Dunstdecke der Wolken und darüber hinaus in die menschenleere Einöde des Hochgebirges.
    Der Gipfel ragte kaum höher als zwanzig Meter über die Wolken hinaus, eine einsame, schroffe Granitzacke. Ringsum, in mehreren Kilometern Entfernung, waren hier und da weitere Spitzen zu erkennen, die wie Haifischflossen aus der Wolkensee stachen. Sie waren die einzigen Spuren des Erdbodens; sonst war da nur waberndes Weiß, glatt gestrichen wie mit einem Pinsel, unter einer leuchtenden Kuppel aus Blau.
    Es fiel Niccolo leicht, sich vorzustellen, er wäre wieder daheim auf der Wolkeninsel, zu Hause beim Volk der Hohen Lüfte. Zurück bei den Menschen, die ihm vertraut hatten.
    Bei den Menschen, die er verraten hatte.
    Er wollte nicht daran denken, aber natürlich konnte er nicht anders. Früher hatte er geglaubt, er könne das Wolkenvolk hinter sich lassen und würde ihm keine Träne nachweinen. Heute wusste er es besser. Das Heimweh fraß ihn innerlich auf; den Rest zersetzte seine Sorge um Mondkind.
    Der Blick seiner goldenen Augen glitt über die Weite des Wolkenmeeres. Er wusste, wie es darunter aussah, manche Gegenden hatte er auf seinem Flug mit dem Kranich überquert. Es gab gewaltige Gletscher in diesem Gebirge, weite Eisfelder, in denen tödliche Spalten klafften.
    Doch hier oben über den Wolken sah die Welt aus wie immer. So ruhig, so ungetrübt.
    Und dennoch ging es dem Ende entgegen.
    Heute hatte er Mondkind zum ersten Mal allein gelassen. Seit die Drachen sie vor drei Tagen in den magischen Heilschlaf versetzt hatten, war er ununterbrochen an ihrer Seite gewesen. Tag und Nacht hatte er über sie gewacht, kaum geschlafen, manchmal geweint, dann wieder nur dagesessen und sie angesehen. Sie lag tief unten in einer der Dongtian, einer der Heiligen Grotten. Der Schlaf sollte sie heilen - und schützcn. Vor dem Aether, aber auch vor sich selbst. Ihre Sucht nach reinem Mondlicht barg Gefahren für sie alle, sagten die Drachen.
    Vielleicht hatte Mondkind, ausgerechnet Mondkind, es am besten getroffen. Vielleicht war es ihr vergönnt, den Weltuntergang zu verschlafen, einfach hinüberzudämmern zu jenem Ort, der jenseits von allem lag. Dann blieb ihm wenigstens die Hoffnung, sie dort wiederzusehen.
    Niccolo hatte niemandem verraten, dass auch er einer Mondlichtattacke des Aethers ausgesetzt gewesen war. Nicht einmal Nugua wusste davon. Mit einem Mal fragte er sich, ob er der Macht des Aethers bereits erlegen war, als er hier heraufgekommen war, an einen Ort, der ihrem Feind näher war als irgendein anderer. Aber nein, er stand noch nicht unter dem Einfluss des Aethers, nicht so wie Mondkind. Er war stark genug, dem Flüstern und Zerren standzuhalten, den fremden Gedanken, die klammheimlich ins Hirn krochen, getarnt als eigene Ideen und "Wünsche.
    Der Kranich neben ihm regte sich. Der Vogel, der einst dem Unsterblichen Tieguai gehörte hatte, lauschte aufmerksam in die Unendlichkeit des Wolkenmeeres. Ehe Niccolo das Wort an ihn richten konnte, brach der Dunst am Fuß der Gipfelspitze auf, schwappte zäh auseinander wie vergorene Milch und spie einen zweiten Riesenvogel hinauf ins Blau.
    Einen Moment später glitt Nugua aus dem Sattel. Das Mädchen mit dem struppigen schwarzen Haar kletterte gewandt die letzten paar Meter zu Niccolo herauf.
    »Ich hab dich gesucht.« Sie schlug die Arme um ihren Oberkörper und rieb sich die Schultern. Wie Niccolo trug sie einfache Kleidung, Hose und Wams aus Leinen, weit geschnitten nach Art der
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