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Das Wolkenvolk 03 - Drache und Diamant

Das Wolkenvolk 03 - Drache und Diamant

Titel: Das Wolkenvolk 03 - Drache und Diamant
Autoren: Kai Meyer
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chinesischen Bauern. Zusätzlich hatte Nugua sich einen Überwurf aus abgestoßener Drachenhaut um die Schultern gelegt und mit einem gegabelten Tierknochen vor der Brust befestigt. Der Anblick weckte die ferne Erinnerung an eine Nacht in den Wäldern von Sichuan, als Niccolo unter ihre Drachenhautdecke gekrochen war. Damals hatte er geträumt, dass sie ihn im Schlaf unentwegt anschaute. Grüne, leuchtende Mandelaugen, die im Dunkeln stundenlang auf sein Gesicht gerichtet blieben.
    »Du hättest mir sagen können, dass du hier hoch willst.« Sie setzte sich neben ihn und folgte seinem Blick zum Wolkenhorizont. Als sich zufällig ihre Knie berührten, spürte er, dass die leere Weite sie schaudern ließ.
    »Ich wollte allein sein«, entgegnete er mit einem Seufzer.
    » Gut - ich wollte auch allein mit dir reden.«
    Spöttisch sah er sie an. »Du hast Geheimnisse vor deinen Drachenfreunden?«
    »Sag das nicht so geringschätzig.«
    Er schüttelte langsam den Kopf. »Versuch doch mal sie mit meinen Augen zu sehen. Ich bin nicht wie du unter Drachen aufgewachsen. Dort unten wimmelt es nur so von ihnen, und für mich sind das alles -«
    »Ungeheuer?«, fiel sie ihm ins Wort.
    »Fremde.«
    »Aus Fremden können Freunde werden.«
    »Sie trauen mir nicht. Und ich kann es ihnen nicht mal verdenken. Erst habe ich die Dienerin ihres Erzfeindes in ihr geheimes Versteck gebracht und dann auch noch verlangt, dass sie sie heilen ... Ich könnte mich auch nicht leiden, wenn ich sie wäre.«
    Sie schüttelte den Kopf und suchte einen Moment lang nach den richtigen Worten. »Das ist es nicht. Sie sind Dra chen, Niccolo. Mach nicht den Fehler, sie mit Menschen zu verwechseln. Sie denken anders, sie fühlen anders. Stell dir vor, die Gefühle eines Menschen wären -« Sie zögerte und sagte dann mit entschuldigendem Schulterzucken: »- ein Grashalm. Dann wären die von Drachen ein riesiger Baum, dessen Wurzeln bis tief in die Erde reichen. Ihre Erinnerung und ihr Wissen gehen zurück bis zu Ereignissen und Orten, die wir uns nicht mal ausmalen können. Wenn ein Drache etwas beschließt, dann hat er tausend Gründe mehr dafür als -«
    »Als wir?« Er runzelte die Stirn. »Du hast immer gesagt, du bist selbst so was wie ein Drache.« »Ja«, sagte sie niedergeschlagen. »Das dachte ich auch.« Fast ein Jahr war es her, seit Yaozi und die anderen Drachen Nugua allein in den Bergwäldern des Südens zurückgelassen hatten. Sie hatten sie aufgezogen, vom Neugeborenen bis zum jungen Mädchen; sie hatten ihr das Gefühl gegeben, eine von ihnen zu sein; und dann, von einem Tag auf den anderen, waren sie verschwunden. Ohne Abschied, ohne ein Wort der Erklärung. Heute, Monate später, hatte Nugua zwar die Drachen wiedergefunden, aber sie wusste noch immer nicht, warum Yaozi sie damals alleingelassen hatte. Niccolo kannte sie gut genug, um zu ahnen, wie enttäuscht und verletzt sie war.
    Er berührte tröstend ihre Hand, aber sie zog die Finger sofort wieder zurück, als hätte sie sich verbrannt. »Tut mir -«, begann er, aber Nugua unterbrach ihn: »Nein, mir tut es leid. Ich ...« Sie suchte nach Worten. »Ich muss mit dir reden«, sagte sie schließlich.
    »Sicher.«
    »Über Mondkind.«
    Er wich ihrem Blick aus. Als sich ihre Wege am Ufer des Lavastroms getrennt hatten, hatte er gesagt, dass er hoffe, sie wiederzusehen. Das war aufrichtig gewesen, aber zugleich von seiner Empfindung für Mondkind überlagert. Es war Mondkind, die er liebte. Und Nugua ... nun, sie war eben Nugua. Das kratzbürstige, stets ein wenig schmuddelige Mädchen aus der Wildnis. Herrje, er hatte sich daran gewöhnen müssen, dass er sie roch, bevor er sie sah.
    »Die Drachen haben dir nicht alles gesagt.« Auch sie sah ihn nicht an, sondern hatte ihren Blick nachdenklich hinaus auf den Wolkenozean gerichtet.
    »Was meinst du damit?«
    »Sie wollten nicht, dass du es erfährst. Dass ich dir davon erzähle ...« Sie zog tief die Luft ein. »Yaozi wird nicht froh darüber sein.«
    » Was haben sie mir nicht gesagt?«
    »Der Schlaf, in den sie Mondkind versetzt haben, soll sie heilen. Von ihren Wunden, vor allem. Und er soll dafür sorgen, dass der Aether keine Macht mehr über sie hat.«
    Er nickte. Das alles wusste er. Mondkind war mit ihm in die Heiligen Grotten geflohen, weil die Macht des Aethers für gewöhnlich nicht in die Dongtian hinabreichte. Schon einmal, unten im Süden, hatten sie in einer der geheiligten Grotten Schutz gesucht, und in diesen hier hätte es
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