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Das Wolkenvolk 03 - Drache und Diamant

Das Wolkenvolk 03 - Drache und Diamant

Titel: Das Wolkenvolk 03 - Drache und Diamant
Autoren: Kai Meyer
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Prolog
    Einst war die Dunkelheit hier vollkommen. In den Tiefen der Berge, Tausende Meter unter Gletschern und Gipfelschnee, herrschte Schwärze, seit das Gebirge seine Wurzeln in die Welt getrieben hatte.
    Jahrmillionenlang war es dunkel geblieben. Und still.
    Bis die Drachen kamen.
    Der Goldglanz ihrer Schuppenleiber fiel auf Fels, der früher nur Finsternis kannte. Ihr Licht beschien Türme aus Tropfstein, flirrte auf Adern aus Erz und Kristall, weckte eiskalte Seen aus uraltem Schlummer.
    In einer dieser Höhlen, getaucht in die Bernsteinglut der Drachen, nahm Niccolo Abschied von Mondkind.
    Langsam trug er das Mädchen ins Zentrum der Grotte und legte es sanft auf ein Felspodest. Mondkinds schmale Finger schlossen sich um seine Hand.
    »Ich habe Angst«, flüsterte sie. Eine einzelne Träne löste sich aus ihrem Augenwinkel, zog eine Spur hinab zur Schläfe und verschwand in der Flut ihres nachtschwarzen Haars.
    Ihre Stimme war leise wie ein Atemhauch. Sie so zu hören brach Niccolo das Herz. Aber noch schmerzhafter war es, ihren flehenden Blicken standzuhalten.
    »Der Zauber der Drachen wird dich heilen«, sagte er,  aber damit beruhigte er weder sie noch sich selbst. Sie wussten beide, dass es so einfach nicht sein konnte.
    Mondkind ruhte flach auf dem Rücken, zerbrechlicher denn je. Die weiße Seide ihres Kleides bewegte sich ganz von selbst, verteilte sich in weiten, fließenden Wogen um ihren zierlichen Körper. Mehrere Lagen krochen über die blutende Wunde in ihrer Seite. Eine Wunde, die sie töten würde, wenn die Magie der Drachen sie nicht zu schließen vermochte.
    Niccolo wusste, dass die Zeit drängte. Der Felsbuckel, auf den er Mondkind gebettet hatte, erhob sich wie ein Altar inmitten des hohen Höhlendoms. Schon jetzt, da sie zu schwach war, sich aus eigener Kraft zu bewegen, erschien sie ihm wie eine Statue aus makellosem Marmor. Weiß war die Seide ihres Gewandes, geisterhaft bleich ihre Haut. Nur das schwarze Haar, das weit aufgefächert um Kopf und Schultern lag, bildete einen Gegensatz - so als wollte etwas den Goldglanz der Drachen von ihr fernhalten, eine Krone aus Finsternis, die Mondkinds atemberaubende Schönheit noch unwirklicher machte.
    »Wie lange werde ich schlafen?«, fragte sie.
    »Bis du gesund bist«, sagte er sanft. »Die Drachen versetzen dich in einen Heilschlaf, der die Wunde verschließen wird.« Sie wusste das alles - sie hatten längst darüber gesprochen, in den Momenten, wenn sie klar genug war, ihn zu verstehen. Aber mit ihrem langsamen Sterben ging auch Vergessen einher und nie war er sicher, ob sie wirklich verstand, was mit ihr geschah, oder ob sie sich nur treiben ließ, ganz allmählich vom Diesseits ins Jenseits.
    Wenn du mich tötest, wird das alles hier ein Ende haben. Das hatte sie gesagt, damals, als sie zum ersten Mal in seinen Armen gelegen hatte. Wenig später hatte sie nach seinem Schwert gegriffen und es sich selbst in den Leib gestoßen.
    Silberdorn war keine gewöhnliche Waffe. Die Wunden, die seine Klinge schlug, heilten nicht auf natürlichem Wege. Als Niccolo Mondkind hierhergebracht hatte, in die Heiligen Grotten der Himmelsberge, war die Lage aussichtslos gewesen. Die Drachenmagie war ihre einzige Hoffnung.
    »Aber wird sie wirklich gesund sein, wenn sie erwacht?«, hatte Niccolo gefragt.
    »Wenn sie erwacht«, hatten die Drachen geantwortet, »wird es ihr besser gehen.«
    Das war alles. Eine schemenhafte Hoffnung. Nur ein verzweifelter Wunsch, der vielleicht einmal wahr werden würde.
    »Ich bleibe bei dir«, flüsterte er, als er sich ein letztes Mal ganz nah an ihr Gesicht beugte. »Egal, was geschieht. Wenn du die Augen aufschlägst, werde ich da sein.« Dann küsste er sie, bis ein wenig Wärme in ihre eiskalten Lippen zurückkehrte, das Einzige, was er ihr mit auf den Weg geben konnte.
    »Keine Versprechen«, wisperte sie, als er sich von ihr löste, nur einen Fingerbreit.
    Aber er sagte: »Ich werde dich immer lieben.«
    Ihre Augen fielen zu. Um ihre Mundwinkel lag die Spur eines Lächelns.
    »Es ist so weit«, erklang die Stimme des Drachenkönigs in seinem Rücken.
    Niccolo blinzelte. Mondkinds Griff um seine Finger löste sich, ihre Hand sank zurück an ihre Seite; etwas Bittendes war in dieser letzten Berührung gewesen, ein stummes Flehen.
    Nicht um Hilfe.
    Nur um Vergebung.

Ein Schwarm wilder Bücher
    Die Wolkeninsel trieb nach Norden.
    Sie hatte wieder ihre einstige Höhe erreicht, zweitausend Meter über dem Erdboden. Oben auf
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