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Das Wolkenvolk 03 - Drache und Diamant

Das Wolkenvolk 03 - Drache und Diamant

Titel: Das Wolkenvolk 03 - Drache und Diamant
Autoren: Kai Meyer
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»Könnt ihr euch Feiqing als Menschen vorstellen? Als Mann? Und wollt ihr das überhaupt?«
    Das Getöse wurde jetzt so laut, dass sie einander kaum noch verstehen konnten. Von Osten raste eine Staubwolke heran und hüllte sie sekundenlang ein. Nugua und Niccolo husteten.
    Das Getrommel der tausend Beine brach ab, als der Seelenschlund stehen blieb. Noch eine ganze Weile länger prasselten Steine von den Felswänden.
    Aus dem Staub schälte sich eine gewaltige Halbkugel, viermal so hoch wie Nugua - das Kopfende des Ungetüms. Im grauen Dunst dahinter war die tatsächliche Länge des Riesentausendfüßlers nicht zu erahnen. Nuguas Sicht reichte kaum weiter als bis zu seinen vorderen Bein-paaren. Die Krallen an den Enden hatten Kerben ins Gestein geschlagen.
    Die glatte Oberfläche der Halbkugel veränderte ihre Form. Ihre körnige Struktur bildete Umrisse, ein wirres Durcheinander von Gesichtern, die sich immer wieder einebneten, um dann zu etwas Neuem zu gerinnen. Zuletzt entstanden die Züge eines glatzköpfigen Mannes, glatt und mit pupillenlosen Augen.
    Niccolo stieß ein Stöhnen aus. »Li!«
    »Wie man's nimmt«, sagte der Seelenschlund mit der Stimme des letzten Xian. Sie klang tief und hallend, als käme sie aus einem Brunnenschacht.
    »Für mich ist es an der Zeit zu gehen«, sagte Wisperwind.
    »Ah«, seufzte Li im Leib des Ungetüms, »die einsame Wölfin zieht weiter. Die Unschuldigen sind gerettet, der Gerechtigkeit wurde Genüge getan und -«
    »Nein«, sagte Niccolo. Die nachdenkliche Düsternis war in seinen Blick zurückgekehrt. »Die Unschuldigen wurden nicht alle gerettet. Und Gerechtigkeit... darunter stelle ich mir etwas anderes vor.«
    Daraufhin schwiegen alle, sogar der Seelenschlund. Nugua ergriff Niccolos Hand.
    Schließlich war es Wisperwind, die der unbehaglichen Stille ein Ende bereitete. »Lebt wohl«, sagte sie. Sie umarmte erst Nugua, dann ein wenig länger Niccolo. Zuletzt zog sie das Schwert Jadestachel aus ihrer Rückenscheide. »Das hier sollte einem von euch gehören.«
    Niccolo schüttelte den Kopf. »Behalte du es.« »Nugua?«
    »Ich brauche keine Waffe.«
    Wisperwind schob das Schwert zurück in die Scheide. Sie wollte sich abwenden und nach Osten wandern, als ihr noch etwas einfiel. »Wenn ihr Feiqing seht, dann richtet ihm aus, dass ich mich immer an ihn erinnern werde, wenn es donnert und blitzt. Er wird das verstehen.«
    Damit drehte sie sich um und verschwand in den Staubwolken. Nugua horchte auf ihre Schritte, aber schon nach wenigen Augenblicken war nichts mehr zu hören.
    Schließlich räusperte sich der Seelenschlund. »Und was habt ihr beiden vor?«
    Nugua schaute von der Seite zu Niccolo, und als sie gerade glaubte, er würde ihren Blick nicht erwidern, lächelte er sie an, mit klaren, leuchtenden Augen.
    »Wir haben noch immer die Kraniche«, sagte er. »Wir können hingehen, wohin wir wollen.«
    Nugua erwiderte sein Lächeln. »Nicht nach Norden«, flüsterte sie.
    »Nein«, sagte er leise. »Nach Norden ganz sicher nicht.«
    Dann schwiegen sie wieder und sogar der Seelenschlund schloss sich ihrem wortlosen Warten an.
    Die Sonne senkte sich den Gipfeln im Westen entgegen, verschleiert von feinem Regendunst. Zuletzt stand sie über dem Pass, eingebettet zwischen den Felswänden, eine blutrote Scheibe hinter dem Drachenschädel auf seinem düsteren Gebeinmonument.
    Schritte scharrten über Fels. Jemand kam den geheimen  Pfad herauf. Ein Stolpern. Ein Fluch. Dann abermals Schritte.
    »Das ist er«, flüsterte Nugua. Niccolo lächelte. Sie standen da, eng beieinander, und warteten ab, wer ihnen aus der Sonne entgegentrat.

    *   *   *   *
    E  N  D  E

     

        
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