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Das Wolkenvolk 03 - Drache und Diamant

Das Wolkenvolk 03 - Drache und Diamant

Titel: Das Wolkenvolk 03 - Drache und Diamant
Autoren: Kai Meyer
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gewesen ist.« Nach einem Augenblick fügte sie leiser hinzu: »Leicht wird es trotzdem nicht.«
    »Für niemanden«, flüsterte er.
    Sie schwiegen wieder und sahen der Wolke beim Sterben zu.
    Im Morgenrot über der Wüste schwebte die Abendstern. Ein zweites Gildenschiff folgte in ihrem Schatten.
    Sie sahen aus wie Wale, die den Kampf mit einem Rudel Haie überstanden hatten. Wunden klafften noch immer in ihren Flanken, auch wenn die Reparaturen in vollem Gang waren. Wabenkammern und Segel waren brandgeschwärzt. In der Brücke des hinteren Schiffes klaffte ein langer Riss, der von außen mit Balken gesichert war, Querstreben wie Nähte einer Narbe.
    Alessia riss die Plane des Unterstands beiseite, den sich Niccolo mit Emilio teilte. »Sie hat sie gefunden!«, rief sie aufgeregt. »Nugua hat sie wirklich gefunden!« Da ent-deckte sie, dass Niccolo längst auf war und durch einen Spalt hinauf zum Himmel blickte. »Du bist schon wach? Das ist gut.«
    Er schenkte ihr ein trauriges Lächeln. »Ich schlafe nicht mehr besonders tief.«
    Als sie aufgeregt loslief, bemerkte er, dass sie noch immer humpelte; die Wunde des Jurustachels in ihrem Bein war längst nicht verheilt.
    Nugua kehrte keinen Tag zu früh mit den Geheimen Händlern zurück. Lange hätten Heu und Stroh, das die Menschen von der Wolkeninsel hatten retten können, nicht mehr ausgereicht. Seit fast zwei Wochen lagerten sie nun hier in der Wüste, bewacht von einer Handvoll Drachen, die Regen und Schatten brachten, aber keine Nahrung für das Vieh.
    Niccolo zog sich Leinenhosen und ein weit geschnittenes helles Hemd über - Kleidung des Wolkenvolks, keine chinesische Bauerntracht mehr - und eilte hinaus ins Freie. Emilio hatte die Kühe lange vor Sonnenaufgang gemolken und die Schweine gefüttert. Niccolo war dem alten Mann dankbar, nicht nur weil er ihm die Arbeit abnahm, sondern weil er den Schmerz in Niccolos Augen respektierte und auf seine Weise versuchte ihn zu lindern. Was es allerdings in gewisser Weise fast noch schlimmer machte: Jede gutmütige Geste, jedes Zeichen der Freundschaft erinnerte Niccolo daran, dass er all diese Menschen verraten hatte. Zumindest sah er es so. Niemand machte ihm Vorwürfe, doch sein Entschluss stand längst fest: Er konnte nicht bei ihnen bleiben, wollte das auch gar nicht mehr. Mit seinem schlechten Gewissen musste er leben; nicht aber mit dem Anblick jener, die er beinahe verloren hätte.
    Dabei spielte es keine Rolle, dass er überhaupt nie eine Chance gehabt hatte, die Wolkeninsel zu retten. Selbst wenn es ihm gelungen wäre, Drachenatem einzufangen und nach Hause zu bringen, hätten sie die Pumpen damit nicht in Gang setzen können. Alessia hatte ihm vom Aetherfragment erzählt, von den Gründen für den Absturz über dem Raunenwald. Im Gegenzug hatte Niccolo ihr die ganze Wahrheit gesagt, über Mondkind und den Bann des Chi , über seine verzweifelte Suche nach ihr; auch über das, was sie getan hatte, und seine eigene Rolle dabei. Er hatte es Alessia überlassen, ob sie ihn dafür verurteilen wollte oder nicht.
    Doch auch die Herzogstochter hatte sich verändert. Dies sei ein Neubeginn für jeden von ihnen. »Du trägst keine Schuld«, hatte sie gesagt, an einem der Abende draußen auf den Dünen, während die Drachen in der Dunkelheit glühten. »Du hast niemandem Böses gewollt.«
    »Aber ich habe es in Kauf genommen. Das ist genauso schlimm.«
    »Hattest du denn eine andere Wahl?«
    Das war sie, die Frage, die er sich selbst ein ums andere Mal gestellt hatte, bis er hundert Antworten darauf wusste, die doch letztlich alle nur zu neuen Ungewissheiten führten: Und wenn er eine Wahl gehabt hätte? Hätte er Mondkind auch ohne den Bann geliebt und alles für sie aufs Spiel gesetzt? Sogar das Leben anderer?
    Spätestens da hatte er gewusst, dass er hier nicht bleiben konnte.
    Jetzt, einige Tage später, lief er ins Freie und starrte mit den übrigen Menschen hinauf zum Himmel, wo die beiden Gildenschiffe durch einen Schleier aus Nieselregen glitten. Die Erleichterung ließ seinen Herzschlag stolpern. Keiner der anderen hatte seit über zwanzig Jahren ein Schiff der Geheimen Händler mit eigenen Augen gesehen; viele, wie Alessia und er, waren noch gar nicht auf der Welt gewesen, als das Wolkenvolk zum letzten Mal Handel mit der Gilde getrieben hatte.
    Der Gedanke, wie viele dieser fliegenden Titanen bei der Schlacht um die Dongtian zerstört worden waren, versetzte ihm einen Stich. Diese Menschen dort oben hatten um
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