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Das Wolkenvolk 03 - Drache und Diamant

Das Wolkenvolk 03 - Drache und Diamant

Titel: Das Wolkenvolk 03 - Drache und Diamant
Autoren: Kai Meyer
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der Wüste.
    Warmer, sanfter Sommerregen.
    Die Menschen lagerten in den Dünentälern und sammelten das Wasser in Planen und Töpfen, in Tonschalen und Tierhäuten. Oben auf den Sandkuppen ruhten die Drachen, leckten ihre Wunden und ließen sich vom Regen den Schmutz von den Schuppen spülen. Der Dunst, den sie mit sich brachten, spendete Schatten, wo es eigentlich keinen geben durfte.
    Die Überreste der Wolkeninsel lagen ein gutes Stück weiter nördlich. Es würde noch Wochen dauern, ehe sie sich vollständig aufgelöst hatte. Doch schon jetzt beugten sich die Gipfel der Wolkenberge nach innen wie Finger einer Hand, die sich unendlich langsam zur Faust ballte. Wattiges Weiß klammerte sich an die Rohre der Aether-pumpen; aber früher oder später würden auch sie hinab in die Wüste stürzen. Schon jetzt neigten sich einige zur Seite, obgleich niemand zweifelte, dass sie das Letzte sein würden, was dem Untergang trotzte. Zweihundertfünfzig Jahre lang hatten die Pumpen den Gewalten der Hohen Lüfte widerstanden, vor den Mächten der Schwerkraft aber mussten auch sie kapitulieren. Schließlich würden Sandwehen das rostige Eisen zusammen mit den Ruinen zerfallener Gehöfte begraben und alle Spuren des Wolkenvolkes tilgen.
    »Es wird schnell gehen«, sagte Niccolo nachdenklich. Den bandagierten linken Arm trug er in einer Schlinge. »Viel schneller, als alle glauben.«
    Neben ihm auf einer Düne saß Alessia, die Tochter des Herzogs, und blickte gemeinsam mit ihm zu den Resten der Wolkeninsel hinüber. Die schrumpfenden Berge sahen aus wie die Überbleibsel riesenhafter Schneemänner.
    Jenseits davon erhob sich noch immer eine Wand aus Staub und Qualm. Wenn der Schmutz sich erst senkte und der Himmel klärte, würden wieder die Himmelsberge den Horizont beherrschen, neue Gipfel und Grate eines uralten Gebirges.
    Alessia deutete zum zerfasernden Rand der Wolkeninsel, einige Hundert Meter entfernt. Dort neigte sich eine Windmühle gefährlich zur Seite. Wenn in ein paar Stunden die Sonne unterging, würde sie wohl nicht mehr dort stehen. Die Vorstellung, die Mühle eines Zeitwindpriesters zerschmettert am Boden zu sehen, war weder für Niccolo noch für Alessia allzu schmerzlich.
    »Es gibt noch immer Leute da unten, die zum Zeitwind beten.« Alessia schloss die Augen und hielt das Gesicht in den Nieselregen. Feuchte Strähnen ihres roten Haars lagen über den Sommersprossen an ihren Schläfen. »Aber von Tag zu Tag hören weniger auf das, was die Priester sagen.« Sie lächelte, ohne die Augen zu öffnen. »Mein Vater war einer der Ersten, die sich öffentlich von ihnen losgesagt haben - kannst du dir das vorstellen? Ausgerechnet er.«
    Niccolo fiel es schwer, an die Zeit auf der Wolke zurückzudenken. Er hatte fast sein ganzes Leben dort oben verbracht, aber die vergangenen Wochen besaßen in seiner Erinnerung so viel mehr Gewicht als all die Jahre zuvor. Trotzdem verstand er, was Alessia meinte.
    »Dein Vater und mein Vater«, sagte er, »sie waren einmal Freunde. Hast du das gewusst?«
    Alessia nickte. »Vor langer Zeit.« Plötzlich öffnete sie die Augen und sah Niccolo durch einen Regenschleier an. Wasser perlte über ihre Wangen. »Wir sollten nicht denselben Fehler machen wie sie.«
    Er versuchte zu lächeln und es gelang schon recht gut, auch wenn es sich seltsam anfühlte. »Wir sind nicht sie«, erwiderte er.
    »Sie hatten beide ein Leben lang Angst.«
    Er überlegte kurz, bevor er nickte. »Mein Vater hat andere Menschen gefürchtet, auch wenn er das nie offen zugegeben hat. Ich glaube, er war froh, als er einen Grund hatte, das Dorf zu verlassen und zum Rand der Wolke zu ziehen.« Leiser, aber mit fester Stimme fügte er hinzu: »Und zuletzt war selbst das noch zu nah bei den anderen. «
    »Du glaubst, dass er freiwillig über den Rand gegangen ist?«
    Niccolo hob die Schultern. Darauf wusste er keine Antwort. Er hatte nur Ahnungen, aber selbst die kamen ihm fern und diffus vor. So weit weg.
    Nach einer Weile sagte Alessia: »Irgendwann werde ich Herzogin sein.« Nur eine schlichte Feststellung. Es klang, als hätte sie sich mit diesem Gedanken abgefunden wie mit einem unschönen Muttermal.
    Niccolo deutete über das Dünental und die wimmelnden Menschen zwischen Zeltplanen und provisorischen Unterständen. Dort unten hütete der alte Emilio die Tiere vom Spinihof. »Ich beneide dich nicht um die Verantwortung«, sagte er.
    »Glaub mir, das wird ein Kinderspiel im Vergleich zu ... dem anderen. Dem, was
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