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Das wird mein Jahr

Das wird mein Jahr

Titel: Das wird mein Jahr
Autoren: Sascha Lange
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the Story Ends
    Dicke Schneeflocken fielen und wirbelten durch die Straßen rund um den Lausitzer Platz. Ich saß mit Noel und Matti im Bistro »Baraka« in Kreuzberg. Wir aßen Döner und sahen durch das Fenster dem winterlichen Treiben zu. Einer der Kellner stellte uns heißen Tee auf den Tisch. »Geht aufs Haus«, sagte er freundlich lächelnd. Wir nickten dankend. Hatte ich den Typen schon mal in einem orientalischen Abenteuerfilm gesehen? Würde mich nicht wundern.
    Seit sechs Wochen wohnte ich mit Noel und Matti bei Matze in einer WG am Fränkelufer, in der Nähe des Kotti. Matze war gut zehn Jahre älter als wir und lebte seit den frühen 80ern in Kreuzberg. Sein Mitbewohner trampte bis März durch Südamerika, und wir konnten inzwischen dessen Zimmer nutzen. Seine Plattensammlung bestand leider nur aus Punk und Hardcore.
    »Mir fehlt unser Haus«, sagte ich nach einer Weile und nippte vorsichtig am heißen Tee. »Da war alles so einfach. Das war wie Ferienlager, Buden bauen und Partywochenenden zusammen. Hätte von mir aus ewig so weitergehen können.«
    Noel zündete sich eine Zigarette an und nickte bedächtig mit seinem Kopf. »Die Mainzer müssen wir abhaken«,sagte er. »Der Berliner Senat wird sich doch nach der krassen Bullenaktion nicht die Blöße geben und sagen: ›Sorry, die Räumung war nur ein Versehen, natürlich bekommt ihr eure Häuser wieder und auch Verträge‹. Nein, das war eine Machtdemonstration, um auch dir Ostler zu zeigen, wer jetzt am längeren Hebel sitzt. Willkommen in der bundesdeutschen Realität.«
    »Aber das Nachbarhaus von Matze, das war doch in den 80ern auch besetzt und die haben Verträge bekommen.«
    »Ja, aber das ist schon eine ganze Weile her. Die kuscheligen 80er sind vorbei. In ein paar Jahren wird Berlin wieder Hauptstadt, und da wollen die hier keinen Stress mit Autonomen. Oder wenigstens nicht noch mehr als sonst.«
    »Noel mit seinen nüchternen Analysen. Da spricht der zukünftige Politologe und Soziologe. Du bist zu viel in der Uni.« Matti schaute seinen Bruder mit leicht ironischem Blick an. »Kannst du nicht einmal auch etwas weiterdenken als nur bis zur nüchternen Realität?«
    »Ich glaube, Musik machen ist mehr meine Baustelle, als ein verfallenes Haus«, erwiderte Noel. »Vielleicht sollten wir uns lieber hier in Kreuzberg eine WG suchen, in der wir mehr als ein Zimmer bekommen. Von mir aus auch in einem Hausprojekt. Hier gibt es wenigstens keinen Stress mit den beschissenen Ost-Berliner-Faschos.«
    »Mir gefällt es auch in Kreuzberg«, sagte ich. »Hier hat mich noch niemand gefragt, woher ich komme. Ich bin einfach da, und das ist okay.«
    »Ich glaube, das ist wirklich allen egal«, sagte Matti und räumte unseren Tisch ab. »Ich hab hier in Kreuzberg noch niemanden berlinern gehört.«Kurz darauf war bei Matze Silvesterparty. Man konnte auch sagen, es war das Treffen einer unorganisierten Meute von Schwaben.
    Die kleine Zweizimmerwohnung war brechend voll. In der verqualmten Küche saßen und standen ausschließlich Leute aus Stuttgart und Umgebung. Kam mir zumindest so vor. Und älter als ich waren auch die meisten. Noel und Matti mussten ständig zur Begrüßung von ihren Stühlen aufstehen, weil gerade jemand reinkam, den sie kannten und schon ewig nicht mehr gesehen hatten.
    In der Kastanienallee gab es auch noch eine Mainzer-Soli-Party, hatte Martin vorhin am Telefon erzählt. Aber es sah nicht danach aus, als würde ich Noel und Matti hier von ihrem »Klassentreffen« wegbekommen.
    Ich saß still in einer Ecke der Küche, schaute den Leuten beim Schwatzen zu und wurde langsam müde. Bis Mitternacht waren es noch zwei Stunden. Kurzentschlossen ging ich vor die Tür, um das alte Jahr zu verabschieden.
    Auf der Straße roch es nach Blitzknallern und Winter. Diese kalte Luft war einfach unverwechselbar. Ich setzte meine Kapuze auf und knöpfte meinen alten schwarzen Mantel bis oben zu. Die Straßenlaternen warfen helle Lichtkleckse auf den dunklen Asphalt und an Häuserwände voller Graffitis und Plakate, die zum Kampf gegen alles Mögliche aufriefen.
    »Mainzer her, sonst kracht’s!«, hatte ich mit Matti vor ein paar Wochen gegenüber an eine Wand gesprüht, aber unsere Forderung hatte bislang niemanden interessiert. Wenigstens krachten entfernt einige Feuerwerkskörper. Das hatten sie nun davon.
    Die Fußwege waren fast menschenleer. Ich lief am Kotti vorbei, wo selbst bei dieser Kälte einige Junkies rumstanden. Waren wohl mal wieder von
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