Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das wird mein Jahr

Das wird mein Jahr

Titel: Das wird mein Jahr
Autoren: Sascha Lange
Vom Netzwerk:
den Bullen oder irgendwelchen BVG-Fuzzis aus der U-Bahnstation vertrieben worden.
    Der Skalitzer folgte ich Richtung Osten. Wohin ich wollte, wusste ich nicht. Einfach nur laufen, in Bewegung bleiben gegen die innere Unruhe. In den letzten Monaten war so viel passiert, dass ich jetzt kaum alles zusammenbekam.
    Ob die Bullen wegen der Hanfpflanzen noch nach mir suchten? Der eine Typ von der Roten Hilfe aus der Mainzer hatte mir zwar erklärt, das sei nicht so wild, weil es nur eine Zeugenvorladung gewesen war. Aber bei Double Trouble konnte man ja nie wissen, was der noch so ausquatschte oder dazudichtete. Andererseits: Berlin war so riesig, und die Bullen hier hatten doch ganz andere Probleme, als mich zu suchen.
    Über mir ratterte die Hochbahn vorbei. Da und dort flogen Raketen in den wolkenverhangenen Himmel. Alle Dönerbuden, an denen ich vorbeikam, hatten offen. Das war mir schon zu Weihnachten aufgefallen. Die kannten scheinbar keine Feiertage, deren Arbeitsethos überstieg den der Deutschen um einiges. Bestimmt stand Ali in Stuttgart jetzt auch in seinem Laden und putzte die Theke.
    Einige Kiddies standen auf dem Fußweg und bewarfen sich gegenseitig mit Blitzknallern. Ich beeilte mich, dass ich weiterkam.
    Was wohl Elisabeth jetzt gerade machte? Sicherlich saß sie auf ihrer Terrasse mit einem Glas Rotwein in der Hand und schaute aufs Meer. Oder hörte in der Küche ihre klassischenSchallplatten. In Italien sollte es noch um die 15 Grad geben, hatte ich heute Früh in der Zeitung gelesen.
    Ich blieb kurz an einem Laden für gebrauchte Hifi-Anlagen und Fernseher stehen und schaute auf meine Anlage, also eigentlich die von Herrn Merk. Achthundert Mark hatte ich vor vierzehn Tagen dafür bekommen. Damit kam ich erst mal wieder über die nächsten Wochen.
    Neben mir explodierte plötzlich etwas mit lautem Getöse. Ich erschrak und sprang zur Seite. Reflexartig nahm ich meinen rechten Ärmel vors Gesicht. Ich glaube, die Zeit in der Mainzer hatte mich ein bisschen paranoid werden lassen. Hinter mir hörte ich, wie die Kids sich kaputtlachten. »Ihr Rotzer, spinnt ihr?«, rief ich ihnen zu, doch sie zogen schon weiter und zeigten mir zum Abschied ihre Mittelfinger. Fünf kleine speckige deutsch-türkische Mittelfinger.
    Andi und Katrin würden jetzt bestimmt auf ihrer Couch sitzen und Videos glotzen. Dazu gab es Aldi-Sekt und Salzstangen. Na, Prost Neujahr!
    Und Anke? Ja, Anke … Ob es ihr gut ging in Düsseldorf ? Vielleicht sollte ich mal hinfahren, ihre neue Adresse aus dem Telefonbuch raussuchen und dann vor der Tür stehen und klingeln. Michael würde wahrscheinlich aufmachen und mich gut gelaunt zum Kaffee einladen, und während wir beiden Männer über Autos, Schallplatten und das Leben in der DDR laberten, würde Anke uns Kuchen aufschneiden und mich zu ihrer Hochzeit einladen. Mich fröstelte bei diesem Gedanken.
    An der Tankstelle bog ich ab und lief am Görlitzer Park entlang. Oben aus einem Haus hörte man vielstimmiges Lachen und Musik durch ein offenes Fenster. Ich ging weiter.Ein paar Schneeflocken fielen, und plötzlich wurde es still. Niemand war auf der Straße.
    Nach einer Weile kam ich an einem kleinen Café vorbei, nur mit Kerzen ausgeleuchtet. An der Tür hing ein großes Schild mit der Aufschrift »Geschlossene Gesellschaft«. Direkt am Fenster konnte ich auf ein schon angeknabbertes Buffet schauen. Im Hintergrund standen gut zwei Dutzend Mittzwanziger, allesamt elegant angezogene Menschen, die sich mit Gläsern und Bierflaschen in der Hand angeregt unterhielten. Bestimmt ein Freundeskreis, der sich schon ewig kannte, Künstler oder angehende Ärzte oder so was. Keine Scheiß-DDR, keine Scheiß-Flucht hatte sie auseinandergerissen. Alle sahen zufrieden aus. Ich stand draußen in der Dunkelheit und schaute ihnen zu. Der Anblick hatte etwas Andächtiges, fast so als würde man in das knisternde Feuer eines Kamins blicken. Neben dem Buffet stand ein DJ-Pult, und durch die Fensterscheibe drang leise »Wicked Games« von Chris Isaak aus den kleinen PA-Boxen. Genau Chris, zieh mich runter mit deiner schnulzigen Ballade. Das ist genau das, was ich jetzt brauche. Immer rein in die Magengrube mit deiner Faust. Ist denn schon Zeit für die Kuschelrunde?
    »Ach, deswegen gehst du nicht ans Telefon«, rief jemand hinter mir. War ich gemeint? Bestimmt eine Verwechslung. Oder? Ich kannte diese Stimme, doch nie im Leben hatte ich damit gerechnet, sie jetzt und hier in Berlin zu hören. Nie im Leben.
    Ich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher