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Das wird mein Jahr

Das wird mein Jahr

Titel: Das wird mein Jahr
Autoren: Sascha Lange
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eigentlich Andi? Der lebt doch jetzt auch in Stuttgart, oder?«, fragte mich Martin, während er sich ein Geschirrtuch nahm und begann, die sauberen Teller abzutrocknen.
    »Andi wohnt mit Katrin zusammen und staubsaugt Autos. Hab ihn lange nicht gesehen«, antwortete ich.
    »Mensch Blume, hättest du vor einem Jahr gedacht, dass wir mal zusammen mit Westgeld in der Tasche in Ost-Berlin Geschirr spülen?« Martin feixte.
    »Oh nein, jetzt nicht schon wieder die Geschichten von Mauerfall und Montagsdemos«, rief Flo hinter seiner Zeitung zu uns rüber.
    »Du alte Ziege«, entgegnete Martin und schaute ihn streng an. »Hilf lieber beim Abtrocknen.«
    »Geht nicht, ich habe gleich Besetzerratplenum drüben in der Scharnweber. Da brauche ich meine Nerven noch.«

18. The Third Time We Opened the Capsule
    Es war schon Mittag, aber ich musste noch nicht aufstehen. Draußen vor dem Fenster herrschte Spätherbstwetter. Vorhin war Matti kurz im Zimmer gewesen und erzählte, dass die Bullen in der Pfarrstraße ein besetztes Haus geräumt hatten und einige Leute vorne auf der Frankfurter Allee eine Aktion deswegen machen wollten. Vielleicht würde ich nachher mal vorbeischauen. Aber jetzt war ich noch zu müde, weil wir die ganze letzte Nacht die Küche gemalert und dabei nicht zu wenige Biere getrunken hatten. Martin und ich hatten dauernd alte Ost-Witze gerissen und Pionierlieder gesungen.
    Ich lag unter einem dicken Federbett auf meiner Matratze und döste vor mich hin. Der Ölradiator spendete nur wenig Wärme. Ich sollte versuchen den Kachelofen zu reparieren, damit ich das Zimmer warm bekam, sonst würde der nahende Winter ungemütlich werden. Dabei war ich gerade dabei, es mir hier gemütlich zu machen.
    Mit einer Hand schaltete ich den Anke-Rekorder an und versteckte sie gleich wieder unter der Decke. »Everyday is like Sunday«, sang Morrissey mal wieder aus den Boxen, und ich machte die Augen noch mal zu. Heute war Montag. Diese Woche würde ich endlich mein Hochbett bauen, damitich im Liegen auf die Straße runterschauen könnte. Das Holz lag schon draußen im Flur, hatte ich mit Flo auf einer Baustelle ganz in der Nähe »besorgt«. Wenn die Sonne unterging, wurde ganz Ost-Berlin zu einem Selbstbedienungsladen, und im November tat sie das zeitig.
    Vorgestern Abend war ich bei Noel und Matti im Proberaum, den sie sich vor ein paar Wochen im Keller eingerichtet hatten. Ich schnappte mir eine der Gitarren, und wir spielten einfach drauflos. Nach einigen Bieren bastelten wir an einer Coverversion von Icehouses »Hey Little Girl«. Noel sang dazu, und das klang gar nicht so schlecht. Die beiden hatten mich außerdem gefragt, ob wir drei im nächsten Frühjahr mit meinem Bus ein paar Wochen nach Südfrankreich fahren wollten. Wir könnten dort ihre Großeltern am Atlantik besuchen. Und morgen wollten wir wieder proben. Ich freute mich schon tierisch drauf.
    Wenn wir für unser Haus irgendwann doch einen akzeptablen Vertrag bekämen, wäre das hier meine Perspektive. Da würden wir dann alles selber ausbauen. Okay, die beiden Asselpunks ausm zweiten Stock, mit denen müsste man noch mal reden, ob das hier so ihr Ding war, aber ansonsten … Fürs Frühjahr planten wir, mit irgendwelchen Pflanzen unser Dach zu begrünen, ich hatte schon einige Ideen. Wir könnten Kräuter und Gräser anpflanzen und Staudengewächse in Kübeln. Vielleicht auch Tomaten. Wir bräuchten nur ein gutes Schutzvlies, damit nichts nach unten durch die Decke tropfte. Und im Sommer würden wir uns dann zum Sonnen rauslegen und kalte Limo trinken. Oder Bier. Vielleicht würde ich mir ein Glasdach einbauen, dann könnte ich vom Bett aus auch in den Sternenhimmelschauen. Ich könnte mir auf dem Boden auch eine kleine Kammer einrichten, wo ich ein paar Cannabispflanzen hätte und verbrächte den Rest des Tages damit Musik zu machen. Ganz sicher würde aus uns eine coole Band werden. Noel und Matti hatten auch ein wenig Ahnung, wie das mit kleinen Indie-Labels lief. Ich wollte unbedingt auch mal eine Platte machen. Wenn das Lied im Rekorder zu Ende wäre, wollte ich aufstehen und schon mal anfangen, das Holz für mein Bett zurechtzusägen. Nur noch dieser Song, dann ging’s los.
    Unten auf der Straße gab es plötzlich Krach. Rufe und Autolärm drangen durch die Musik, und eine Etage unter mir schrie Martin, doch ich verstand nicht was. Im Treppenhaus hörte man hektische Schritte. Verschlafen schälte ich mich aus meinem Bett und ging zum Fenster. Ich sah
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