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Das wird mein Jahr

Das wird mein Jahr

Titel: Das wird mein Jahr
Autoren: Sascha Lange
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Teilkaskoversicherung?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Nur Haftpflicht. War mir zu teuer.«
    Ein paar Typen kamen zu uns. »Der wäre gut für ’ne Barri hier, Richtung Boxhagener. Fasst ihr mal mit an?«
    »Hier fasst niemand was an oder es gibt Tote!«, schrie ich ihnen ins Gesicht.
    »Ist das deiner? Der ist doch eh im Eimer. Ist doch Totalschaden«, erwiderte er erschrocken.
    »Bei dir ist auch gleich Totalschaden, wenn du nicht abhaust!« Meine Worte überschlugen sich.
    Noel hielt mich am Arm fest. »Komm, lass die.«
    Die Typen verdrückten sich. Matti, Flo und ein paar andere aus unserem Haus kamen, und zusammen versuchten wir den Bus wieder aufzurichten, was uns nach einigen Versuchen auch gelang. Immer wieder musste ich mir die Tränen wegwischen. Ich bog die Fahrertür soweit auf, dass man sich auf den Sitz zwängen konnte, aber mein Versuch, den Motor zu starten, war vergebens. Nur die Scheibenwischer sprangen an und putzten die Stelle, wo zuvor die Frontscheibe gewesen war. Stumm saß ich da. Das Klappdachhing zur Hälfte runter, und Licht schien von oben rein. Nicht ein einziges Mal hatte ich es geschafft, in diesem Bus zu pennen.
    Über dem Friedrichshainer Horizont aus unzähligen rauchenden Schornsteinen und Fernsehantennen ging langsam die Sonne auf und erhellte zunehmend unser Hausdach, auf dem ich mit Matti und einigen anderen stand. Es war Mittwochmorgen und ich hatte seit Montag kaum geschlafen. Abwechselnd waren wir mit Barrikadenbau beschäftigt gewesen oder versuchten die Angriffe der Bullen auf unsere Straße abzuwehren. Noch am Montagabend hatte Noel in Kreuzberg Matze, einen alten Stuttgarter Bekannten aufgetan, bei dem wir ein paar Sachen unterstellen konnten. In der Nacht packten wir eilig unsere Kisten und fuhren sie in Mattis Ford Granada rüber.
    Der Kiez unter uns war zu einer gesetzlosen Zone geworden. Da und dort brannten Autos, flogen Tränengasgranaten und Steine hin und her. Polizisten mit Helmen und Schutzkleidung warfen ohne Hemmung mit allem um sich, was sie in die Hand bekamen. Meine Doc Martens waren vor lauter Dreck kaum wiederzuerkennen, und meine Frisur erinnerte auch nur noch entfernt an Morrissey.
    Wenn man sich leicht vorbeugte, konnte man sehen, wie zwei Räumpanzer gegen die Barri an der Frankfurter Allee ankämpften, flankiert von zwei Wasserwerfern. Wir standen auf unserem Dach und warteten. Auf das Ende. Auf ein Wunder. Auf den Frühling. Darauf, dass uns Scotty endlich hochbeamen würde.
    Gestern Nacht hatte ich das erste Mal erlebt, dass Mattiund Noel nicht einer Meinung gewesen waren. Trotz der anderthalb Jahre Altersunterschied wirkten sie auf mich immer so synchron.
    Noel resümierte nüchtern, dass die Bullen unsere Mainzer auf jeden Fall »klarmachen werden«, wie er sich ausdrückte. Das hier machte überhaupt keinen Sinn, wir würden alle sowieso den Kürzeren ziehen. Bei Matze in Kreuzberg könnten wir erst mal unterkommen, der hätte noch ein Zimmer frei über den Winter. Matti entgegnete, dass er sich nicht ohne Gegenwehr von den Bullen aus der Mainzer rausjagen lassen würde. Das hier sei sein zu Hause.
    Noels Kopf erschien jetzt in der Dachluke, er brachte eine Thermoskanne mit heißem Tee. »Bärbel Bohley soll gestern hier gewesen sein. ›Keine Gewalt‹ und so meinte sie,  und man müsse doch auch die jungen Leute verstehen«, erzählte Noel, während er uns einschenkte. »Die Bullen haben Bohley bloß ausgelacht.« Er schaute nach vorne. »Oh, Scheiße. Ich schätze, Mittagessen gibt es in Polizeigewahrsam.«
    An der Ecke zur Frankfurter, keine hundert Meter von uns entfernt, arbeiteten sich bereits Polizisten in voller Kampfmontur durch die Hindernisse auf den Flachdächern. Wir warfen einige Flaschen, die allerdings weit vor ihnen aufschlugen. Mein Wurfarm schmerzte vom vielen Steineschmeißen der letzten Tage. Über uns kreiste lautstark ein Hubschrauber. Flo und Matti rollten den bereitgelegten Stacheldraht quer über unser Dach und um die Schornsteine aus, und wir kletterten zurück ins Haus. Ich nagelte die hölzerne Luke von innen zu und riss die Leiter ab. Eilig liefen wir die knarrenden Stufen runter. Mit etwa zwanzig Leuten standen wir schließlich in der frisch gestrichenen Küche.
    Martin lehnte neben mir an der Wand und schniefte. Ich konnte nicht erkennen, ob er sich vom vielen Wasserwerferbeschuss erkältet hatte oder ob er weinte. Seine blonden Locken quollen an den Seiten seiner schwarzen Strickmütze hervor. »Die
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