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Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Titel: Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)
Autoren: Elizabeth Gilbert
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worden. Schon zur Teilnahme an der zweiten Reise hatte man Banks nicht aufgefordert, was ihm durchaus zu schaffen machte. Doch durch seine Extravaganz und sein Bedürfnis nach Aufmerksamkeit hatte er Kapitän Cook gegen sich aufgebracht und war schmählich ausgetauscht worden. Cook würde nun mit einem bescheideneren Botaniker reisen, der sich leichter lenken ließ – ein gewisser Mr David Nelson, ein fachkundiger, wenn auch schüchterner Gärtner aus Kew. Banks war sehr darauf erpicht, trotzdem in irgendeiner Weise seine Nase in diese Expedition zu stecken und über Nelsons botanische Erkundungen informiert zu sein. Der Gedanke, dass hinter seinem Rücken bedeutende wissenschaftliche Arbeit geleistet wurde, behagte ihm gar nicht. Daher richtete er es so ein, dass Henry als einer von Nelsons Gehilfen auf die Expedition geschickt wurde, und gab ihm den Auftrag, alles zu beobachten, aufzunehmen und sich einzuprägen, um ihm später davon zu berichten. Henry Whittaker als Informant – gab es eine nützlichere Verwendung für diesen Jungen?
    Ihn zur See zu schicken war im Übrigen auch eine gute Methode, ihn für ein paar Jahre von Kew fernzuhalten und aus sicherer Entfernung abzuwarten, welch ein Mensch dieser Henry werden würde. Drei Jahre auf einem Schiff waren ein hinlänglich langer Zeitraum, in dem sich das wahre Temperament des Burschen entfalten konnte. Sollte man ihn irgendwann als Dieb, Mörder oder Meuterer an der Rah aufhängen … nun, das wäre dann Cooks Problem und nicht mehr das von Sir Joseph Banks.
    Sollte sich Henry allerdings bewähren, könnte Banks den Jungen nach der Expedition, die ihm gewiss einen Teil seiner Wildheit austreiben würde, für sich nutzen.
    So stellte Banks den Knaben denn auch Mr Nelson vor: »Nelson, ich möchte, dass Sie Ihre neue rechte Hand kennenlernen: Mr Henry Whittaker. Seine Familie residiert in Richmond. Er ist ein nützlicher kleiner Spitzbube, und Sie werden bald feststellen, dass er die Pflanzen kennt, ja, immer schon gekannt hat.«
    Ehe Banks den Jungen auf die Reise schickte, gab er ihm noch einen letzten, vertraulichen Rat: »Schütze deine Gesundheit an Bord, mein Sohn, indem du jeden Tag Übungen zur körperlichen Ertüchtigung durchführst. Höre auf Mr Nelson – er ist ein Langweiler, doch er weiß mehr über Pflanzen, als du jemals wissen wirst. Den älteren Matrosen wirst du schutzlos ausgeliefert sein, aber du darfst dich nie über sie beschweren, sonst wird es dir schlecht ergehen. Halte dich von Huren fern, wenn du nicht die Franzosenkrankheit bekommen willst. Ihr werdet auf zwei Schiffen segeln, und du wirst auf der Resolution reisen, mit Cook persönlich. Meide ihn. Sprich nicht mit ihm. Und wenn du doch mit ihm sprichst, was du niemals tun solltest, dann sprich vor allem nicht so mit ihm, wie du mit mir gesprochen hast. Er wird es nicht so amüsant finden wie ich. Wir sind nicht vergleichbar, Cook und ich. In Fragen der Etikette ist der Mann ein wahres Monster. Mach dich unsichtbar für ihn, dann lebst du besser. Und als Letztes möchte ich dir noch sagen, dass du dich an Bord der Resolution , wie auf allen Schiffen Seiner Majestät, in einer seltsamen Kamarilla aus Schlägern und Gentlemen wiederfinden wirst. Sei klug, Henry. Nimm dir die Gentlemen zum Vorbild.«
    Henry verzog keine Miene. Niemand, nicht einmal ein Joseph Banks, hätte in seinem Gesicht lesen können, wie begierig er den letzten Satz aufsog. In Henrys Ohren klang es, als hätte ihm Banks eine geradezu sensationelle Perspektive eröffnet: die Möglichkeit, eines Tages ein Gentleman zu werden. Ja, nicht nur die Möglichkeit – vielleicht war es in Henrys Ohren sogar ein Befehl, der ihm mehr als gelegen kam: Geh hinaus in die Welt, Henry, und lerne, wie man ein Gentleman wird. Vielleicht würde Banks’ beiläufige Bemerkung in den harten, einsamen Jahren auf See immer mehr an Bedeutung gewinnen. Vielleicht würde Henry an nichts anderes mehr denken. Und vielleicht würde sich Henry Whittaker – dieser ehrgeizige, umtriebige Junge mit seinem Drang nach gesellschaftlichem Aufstieg – daran erinnern wie an ein Versprechen.
    •
    Im August des Jahres 1776 stach Henry in See. Zwei Ziele waren für Cooks dritte Forschungsreise gesteckt. Das erste bestand darin, nach Tahiti zu segeln, um Sir Joseph Banks’ Haustier – den Mann namens Omai – in seine Heimat zurückzubringen. Omai war das höfische Leben satt und sehnte sich danach heimzukehren. Er war launisch, fett und unleidlich
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