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Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Titel: Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)
Autoren: Elizabeth Gilbert
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bedingungsloser Bewunderung für alle seine Erzeugnisse. Zur Feier des Tages pflückte er in seinem größten Gewächshaus eine Ananas und gab sie, zu gleichen Teilen aufgeschnitten, seinen Bediensteten. Draußen schneite es, ein pennsylvanischer Winter par excellence, doch dieser Mann besaß mehrere selbstentworfene, mit Kohle beheizte Treibhäuser – die ihm nicht nur den Neid jedes Gärtners und Botanikers auf dem amerikanischen Kontinent einbrachten, sondern auch einen unerhörten Reichtum –, und wenn er im Januar eine Ananas haben wollte, bei Gott, dann bekam er im Januar eine Ananas. Und auch Kirschen im März.
    Anschließend zog er sich in sein Arbeitszimmer zurück und schlug das Wirtschaftsbuch auf, in dem er wie jeden Abend alle offiziellen wie auch vertraulichen Vorgänge auf dem Anwesen festhielt. »Eine ehrbare noia mittreisende ist Zu uns geschtossen«, fing er an und notierte sodann die Einzelheiten, den zeitlichen Ablauf und die Kosten von Alma Whittakers Geburt. Sein Umgang mit der Feder war beschämend. Die Sätze glichen überfüllten Dörfern, in denen Groß- und Kleinbuchstaben in drangvoller Enge nebeneinanderlebten, ein Drunter und Drüber, als wollte jeder von ihnen der Buchseite entfliehen. Seine Rechtschreibung war mehr als willkürlich und seine Zeichensetzung Grund genug für traurige Stoßseufzer.
    Aber Henry schrieb seinen Bericht dennoch nieder. Es war ihm wichtig, den Überblick zu behalten. Er wusste zwar, dass diese Seiten für jeden gebildeten Menschen ein haarsträubender Anblick gewesen wären, doch er wusste auch, dass niemand sie jemals zu Gesicht bekommen würde – mit Ausnahme seiner Frau. Wenn Beatrix wieder bei Kräften war, würde sie sein Gekrakel wie immer in ihre elegant geführten Wirtschaftsbücher übertragen, wo es als offizieller Haushaltsbericht firmieren würde. Sie war seine Partnerin – und machte ihre Sache wirklich gut. Sie übernahm diese Aufgabe für ihn … neben hundert anderen.
    Sie würde sich, so Gott es wollte, binnen kurzem wieder daransetzen.
    Der Schreibkram türmte sich bereits.



Teil 1
    Der Fieberbaum

Kapitel 1
    In den ersten fünf Jahren ihres Lebens war Alma Whittaker – wie wir alle in unserer frühesten Jugend – tatsächlich nur eine Mitreisende in dieser Welt, weshalb ihre Geschichte zu diesem Zeitpunkt weder ehrbar noch sonderlich interessant war, wenn man von der Tatsache absieht, dass dieser unscheinbare Knirps ohne Krankheiten oder sonstige Zwischenfälle durchs Leben ging und von einem Reichtum umgeben war, der im damaligen Amerika und selbst im eleganten Philadelphia seinesgleichen suchte. Wie es ihr Vater zu solchem Wohlstand gebracht hatte, ist hingegen eine erzählenswerte Geschichte, der wir uns widmen wollen, während wir darauf warten, dass das Mädchen heranwächst und wieder interessant für uns wird. Tatsächlich war es im Jahre 1800 genauso ungewöhnlich wie zu allen Zeiten, dass ein in armen Verhältnissen geborener, des Schreibens und Lesens praktisch unkundiger Mann reichster Bürger seiner Stadt wurde. Insofern sind Henry Whittakers Wege zum Erfolg außerordentlich interessant – wenn auch nicht unbedingt ehrbar, woraus er selbst im Übrigen keinen Hehl gemacht hätte.
    Henry Whittaker wurde 1760 in Richmond geboren, einem an der Themse gelegenen Dorf unterhalb von London. Er war der jüngste Sohn mittelloser Eltern, die schon ein paar Kinder zu viel hatten. Er wuchs in zwei kleinen Zimmern auf, gestampfter Lehmboden, ein einigermaßen passables Dach, auf der Kochstelle fast täglich eine Mahlzeit, eine Mutter, die nicht trank, und ein Vater, der seine Angehörigen nicht schlug – mit anderen Worten eine nahezu vornehme Herkunft, verglichen mit vielen anderen Familien seiner Zeit. Seine Mutter besaß hinter dem Haus ein staubiges Stückchen Erde, wo sie – wie eine richtige Dame – nur zur Dekoration Rittersporn und Lupinen zog. Aber Henry ließ sich von Rittersporn und Lupinen nicht täuschen. Seine ganze Kindheit hindurch trennte ihn, wenn er schlief, nur eine Wand von den Schweinen, und es gab keinen Moment in seinem Leben, in dem er die Armut nicht als demütigend empfand.
    Vielleicht hätte Henry die Kränkung weniger stark empfunden, wenn er den Reichtum, an dem er sein armseliges Leben messen konnte, nicht vor Augen gehabt hätte – doch der Junge erlebte schon als Kind, was Wohlstand bedeutet. Königlicher Wohlstand. In Richmond gab es einen Palast und auch einen Lustgarten namens Kew, um dessen
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