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Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Titel: Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)
Autoren: Elizabeth Gilbert
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dieser Titel gewährte ihm Einlass.
    Mr Whittaker kam Banks fast auf den Knien entgegengerutscht, mit tief gebeugtem Haupt, bußfertig wie ein Heiliger. Er beichtete die beschämende Tat seines Sohnes sowie den Verdacht, dass Henry diesen Diebstahl wahrscheinlich schon seit Jahren begehe. Als Bestrafung bot er die eigene Kündigung an, wenn dafür dem Jungen eine Verhaftung und weiteres Unheil erspart bliebe. Der Apfelmagier versprach, seine Familie aus Richmond wegzubringen und dafür zu sorgen, dass Kew wie auch Sir Joseph Banks persönlich nie wieder durch den Namen Whittaker verunglimpft würden.
    Beeindruckt vom ausgeprägten Ehrgefühl des Obstgärtners, lehnte Banks dessen Kündigung ab und schickte nach dem jungen Henry. Auch dies war ein ungewöhnlicher Vorgang. Es kam selten vor, dass sich Sir Joseph Banks mit ungebildeten Gärtnern in seinem Arbeitszimmer traf, und besonders selten kam es vor, dass er sich mit den kriminellen sechzehnjährigen Söhnen von ungebildeten Gärtnern dort traf. Wahrscheinlich hätte er den Jungen einfach festnehmen lassen sollen. Doch auf Diebstahl stand die Hinrichtung durch Erhängen, und selbst Kinder, die deutlich jünger waren als Henry, wurden aufgeknüpft – für deutlich harmlosere Vergehen. Der Übergriff auf seine Sammlung war zwar ärgerlich, aber Banks hatte doch genügend Mitleid mit dem Vater, um dem Problem erst einmal selbst auf den Grund zu gehen, ehe er den Verwalter benachrichtigte.
    Als das Problem kurz darauf in Sir Joseph Banks’ Arbeitszimmer erschien, entpuppte es sich als spindeldürrer, schmallippiger, breitschultriger Rotschopf mit milchigen Augen, eingefallener Brust und einer blassen Haut, die schon von Sonne, Wind und Regen gegerbt war. Der Junge war unterernährt, aber hochgewachsen, und er hatte große Hände. Banks sah, dass ein kräftiger Mann aus ihm werden konnte, wenn er nur eine anständige Mahlzeit bekam.
    Henry wusste nicht genau, weshalb er in Banks’ Büroräume zitiert worden war, doch er hatte ausreichend Grips, um mit dem Schlimmsten zu rechnen, und war sehr beunruhigt. Dass er Banks’ Arbeitszimmer betreten konnte, ohne am ganzen Leib zu zittern, verdankte er einzig und allein seiner dickhäutigen Sturheit.
    Aber du lieber Gott, wie schön dieses Zimmer war! Und wie blendend gekleidet dieser Joseph Banks, mit seiner glänzenden Perücke und dem schimmernden schwarzen Samtanzug, den polierten Schuhschnallen und weißen Strümpfen. Henry war noch nicht ganz durch die Tür, da hatte er schon den Preis des grazilen Mahagoni-Schreibpults taxiert, einen begehrlichen Blick auf die schönen, in Regalen gestapelten Sammelboxen geworfen und das stattliche Porträt von Kapitän Cook bewundert, das an der Wand hing. Teufel noch mal, allein der Rahmen dieses Porträts hatte bestimmt neunzig Pfund gekostet!
    Im Gegensatz zu seinem Vater verbeugte sich Henry nicht vor Banks, sondern blieb aufrecht vor dem berühmten Mann stehen und sah ihm direkt in die Augen. Banks, der die ganze Zeit saß, ließ Henry schweigend dastehen, vielleicht in Erwartung einer Beichte oder einer Ausrede. Doch Henry legte weder ein Geständnis ab, noch verteidigte er sich; er ließ auch nicht beschämt den Kopf hängen, und wenn Sir Joseph Banks geglaubt hatte, Henry Whittaker wäre so dumm, in einer derart brenzligen Situation als Erster das Wort zu ergreifen, dann kannte er Henry Whittaker schlecht.
    Also befahl Banks nach langem Schweigen: »Dann sag mir doch … warum sollte ich dich nicht an den Galgen von Tyburn bringen?«
    Das war’s dann , dachte Henry. Man hat mich geschnappt.
    Trotzdem versuchte der Junge mit aller Kraft, einen Plan zu fassen. Er brauchte eine Taktik, und zwar jetzt, in diesem Moment. Schließlich war er nicht sein Leben lang von älteren Brüdern verprügelt worden, ohne etwas übers Kämpfen gelernt zu haben. Wenn ein kräftigerer, stärkerer Gegner den ersten Schlag gelandet hat, muss man rasch das Ruder herumreißen, ehe man unter einem Hagel von Fausthieben am Boden liegt, und am besten funktioniert in solchen Fällen ein Überraschungsangriff.
    »Weil ich ein nützlicher kleiner Spitzbube bin, dem es nicht widerstrebt, sich die Finger schmutzig zu machen«, sagte Henry.
    Ungewöhnliche Situationen amüsierten Banks, und er lachte vor Überraschung laut auf. »Ich gestehe, dass mir nicht recht einleuchten will, worin dein Nutzen liegen sollte, junger Mann. Was hast du denn für mich getan? Doch nur meine hart erkämpften Schätze
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