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Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Titel: Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)
Autoren: Elizabeth Gilbert
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englische Gentlemen, wohin sie auch reisten, stets nach einem König suchten.
    Henry ging auf Schildkrötenfang und aß Delphine. Er wurde von schwarzen Ameisen zerbissen. Er segelte weiter. Er sah winzige Indianer mit riesigen Muscheln in den Ohren. In den Tropen erlebte er ein Unwetter, das den Himmel in ein abscheuliches Grün tauchte – das Einzige, was den älteren Seeleuten jemals sichtlich Angst einflößte. Er sah die brennenden Berge, die man Vulkane nannte. Sie segelten weiter nordwärts. Es wurde wieder kalt. Er aß wieder Ratten. Sie landeten an der Westküste des nordamerikanischen Kontinents. Er aß Wild und Rentierfleisch. Er sah mit Fellen bekleidete Menschen, die mit Biberpelzen handelten. Er sah einen Matrosen, der mit dem Fuß in der Ankerkette hängenblieb, über Bord gezogen wurde und starb.
    Und immer weiter segelten sie nordwärts. Er sah Häuser aus Walrippen. Er kaufte sich ein Wolfsfell. Mit Mr Nelson sammelte er Primeln, Veilchen, Johannisbeeren und Wacholder. Er sah Indianer, die in Erdlöchern lebten und ihre Frauen vor den Engländern versteckten. Er aß gepökeltes, von Maden durchsetztes Schwein. Er verlor einen weiteren Zahn. Er erreichte die Bering-Straße und hörte das Heulen wilder Tiere in der arktischen Nacht. Alles, was er an trockenen Dingen besaß, wurde nass, um alsbald zu gefrieren. Er sah, wie ihm der erste Bart zu wachsen begann. So spärlich er war, sammelten sich doch Eiszapfen darin. Und das Essen fror, ehe er es vertilgen konnte, regelmäßig an seinem Teller fest. Er klagte nicht. Er wollte Sir Joseph Banks nicht zu Ohren kommen lassen, dass er auch nur ein einziges Mal geklagt hatte. Er tauschte seinen Wolfspelz gegen ein Paar Schneeschuhe ein. Er sah, wie der Schiffschirurg Mr Anderson starb und mit den denkbar trostlosesten Aussichten zur See bestattet wurde – in einer ewig gefrorenen, in fortwährende Nacht getauchten Welt. Er sah Matrosen, die zum Scherz Salven von Kanonenschüssen auf die Seelöwen am Ufer abfeuerten, bis es am Strand kein lebendes Geschöpf mehr gab.
    Er sah das Land, das die Russen Elaskah nannten. Er half, aus Fichten Bier zu brauen, das den Matrosen zuwider war, doch ein anderes Getränk gab es nicht. Er sah Indianer, die in Verschlägen hausten, keinen Deut komfortabler als die Behausungen der Tiere, die sie jagten und aßen, und er traf Russen, die in einer Walfangstation gestrandet waren. Zufällig hörte er Kapitän Cooks Bemerkung über den leitenden russischen Offizier (ein großgewachsener, gutaussehender blonder Mann): »Er ist offensichtlich ein Gentleman aus gutem Hause.« Überall, sogar in dieser elenden Tundra, war es wichtig, ein Gentleman aus gutem Hause zu sein. Im August gab Kapitän Cook auf. Keine Nordwestpassage in Sicht, und inzwischen versperrten kirchturmhohe Eisberge der Resolution den Weg. Sie nahmen wieder Kurs Richtung Süden.
    Fast ohne Halt erreichten sie Hawaii. Nie und nimmer hätten sie dorthin fahren sollen. Hungrig schmachtend im Eis wären sie wohlbehüteter gewesen. Die Könige von Hawaii waren zornig, die Eingeborenen aggressiv, und zudem stahlen sie. Im Gegensatz zu den Tahitianern waren die Hawaiianer keine liebenswürdigen Freunde – überdies waren es Tausende. Doch Kapitän Cook brauchte frisches Wasser und musste bleiben, bis die Laderäume wieder gefüllt waren. Es kam zu zahlreichen Plünderungen seitens der Eingeborenen und zu zahlreichen Strafmaßnahmen seitens der Engländer. Gewehrschüsse fielen, Indianer wurden verwundet, Chiefs in Empörung versetzt, Drohungen ausgestoßen. Einige der Matrosen behaupteten, Kapitän Cook werde immer brutaler, seine Wutausbrüche mit jedem Diebstahl theatralischer, sein Zorn blindwütiger. Doch die Indianer stahlen weiter. Dies konnte nicht geduldet werden. Sie zogen Nägel aus dem Schiff, Boote wurden entwendet, und auch Waffen. Weitere Schüsse fielen, weitere Indianer kamen um. Tagelang hinderte die Wachsamkeit Henry am Schlaf. Niemand schlief.
    Kapitän Cook ging an Land, um eine Audienz bei den Häuptlingen zu erwirken und sie zu beruhigen, doch stattdessen traf er auf Hunderte von erbosten Hawaiianern. Innerhalb von Sekunden verwandelte sich die Menge in einen Mob. Henry sah, wie Kapitän Cook getötet wurde – von einer Keule getroffen, die Brust von der Lanze eines Eingeborenen durchbohrt, vermischte sich sein Blut mit den Wellen. Von einem Moment auf den anderen existierte der große Seefahrer nicht mehr. Sein Körper wurde von Eingeborenen
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