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Das weisse Kaenguruh

Das weisse Kaenguruh

Titel: Das weisse Kaenguruh
Autoren: Matthias Praxenthaler
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dachte einen Moment nach.
    »Kann ich mir vorstellen«, sagte er dann und legte dabei die Hand auf Billys Schulter. »Stell dir vor, die hätten ihr blödes Regal Trönde genannt.«
    Dann fing der Euro an zu lachen. Billy lachte mit. Sie lachten zusammen. Zum ersten Mal. Sie waren auf dem richtigen Weg.

Die Oma.
    Seinen Anfang hatte alles, als Billy noch Peter hieß und zehn war. Ganz Nordrhein-Westfalen bereitete sich damals auf die großen Ferien vor, und auch Billys Eltern fieberten schon sehnsüchtig ihrem alljährlichen Sonnenbrand entgegen. Doch wo andere Familien noch hektisch durch die zuviel versprechenden Kataloge der Reiseindustrie blätterten, hatte man im Hause Büttgen das Ziel der verdienten Erholung bereits seit langem im Fadenkreuz. Wie jedes Jahr, seit Billy denken konnte, ging es zum obligatorischen Kühltaschenmarathon an den Strand der beschaulichen Insel Wangerooge, mitten hinein in die deutschgraue Nordsee. Das hatte man sich verdient. Dieses Mal gab es jedoch einen gravierenden Unterschied. Billy mußte nicht mit.
    Für seine Eltern hatte das einen Vorteil. Dank des Fehlens von Billy konnten sie ihre feisten Körper im Liegestuhl brutzeln und mußten dabei nur mehr auf einen Balg aufpassen. Der Balg hieß Thomas, war schon zwölf und Billys Bruder. Für Thomas wiederum hatte Billys Fehlen den Nachteil, daß er nun keinen Spielkameraden mehr hatte, dem er die Sandburgen kaputtreten konnte. Seine drei Ferienwochen würden daher diesmal zu einem Desaster der Langeweile geraten. Aber was soll’s. Er hatte es nicht anders gewollt. Oma Elisabeth hatte ihn schließlich auch gefragt, ob er nicht vielleicht doch lieber mit ihr und Billy nach Italien fahren wolle, statt zum x-ten Mal nach Wangerooge. Aber für ihn kam das nicht in Frage. Er schlug seit jeher keinen anderen Weg ein als den väterlichen. Da langweilte er sich lieber.
    Die Beziehung von Billy zu seiner Oma war eine besondere. Sie wohnte ebenfalls in Troisdorf, in einem alten, efeubewachsenen Fachwerkhaus in der Taubengasse und damit nur fünf Minuten von Billys erstem Zuhause entfernt. Die Lohmarerstraße ein Stück weit hinunter, dann an der Rundturnhalle rechts, dann gleich wieder links, schon war man da. Das schmale, langgezogene Häuschen hatte einen sich öffnenden Garten nach hinten raus, mit Obstbäumen und Gemüsebeeten, durch den sich ohne erkennbare Struktur ein paar enge Wege zogen, die mit verschieden großen Kieseln bedeckt waren. »Streuselwege«, wie Oma Elisabeth immer dazu sagte. Gleichförmigkeit war ihre Sache nicht.
    Die Büsche und Sträucher dienten der Heckenschere nicht als Modelle, und das Gras wurde nicht gemäht, sondern mit der Sense gestutzt, damit kein Rasen entstand, sondern eine blühende Wiese. Dort raschelten die Blindschleichen, im Slalom vorbei an Moschusmalven, Karthäusernelken und Johanniskraut, auf dem Weg zur Meisterschaft im Sonnenfläzen, die sie mit den Eidechsen auf der zerspalteten Mauer aus Muschelkalkbrocken austrugen.
    Billy mochte den Garten mit seiner selten verwunschenen Aura, und am liebsten mochte er die Stelle in der hinteren, linken Ecke, genau an den beiden Treppenstufen, die zu einem kleinen Wasserloch hinunterführten, das – so behauptete jedenfalls seine Oma – vor Millionen von Jahren ein Meteorit in den Boden geschlagen hatte. Von hier aus hatte er zum ersten Mal in seinem Leben beobachtet, wie ein Frosch mit der Zunge eine Fliege aus der Luft schnalzt. Hier freute er sich, daß ein gewöhnlicher Wasserläufer genauso tolle Sachen konnte wie Jesus Christus. Und außerdem war der Teich der Ort, an dem er schmerzvoll erfahren mußte, daß sein geliebtes Piratenschiff von Playmobil nicht schwamm.
    Am liebsten saß er aber einfach nur mit seiner Oma da – er mit einer kühlen Limo in der Hand, sie das Rotweinglas fest umklammernd – und ließ sich Geschichten erzählen. Und wenn es Winter wurde und für den Garten zu kalt, dann zog man um in das Haus. Was notabene keinen Unterschied machte, denn auch ihr Haus war im Grunde nichts anderes als ein wilder Garten, nur eben mit einer Heizung und einem Dach.
    Billy lernte seine Oma kennen, weil er keine Hausaufgaben mochte. Von Beginn an nicht.
    Thomas, sein älterer Bruder, geriet diesbezüglich unproblematisch. Er ließ sich nicht ablenken vom Leben, sondern streifte sich schon sehr früh das Beziehungskettenhemd über, das ihm sein Vater geknüpft hatte. Hausaufgaben stehen in Beziehung zu guten Noten. Gute Noten stehen in
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