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Das weisse Kaenguruh

Das weisse Kaenguruh

Titel: Das weisse Kaenguruh
Autoren: Matthias Praxenthaler
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mit dem Finger. Die echten Reisen unternahm sie mit einem anderen. Billy hatte ihn auch einmal kurz gesehen, diesen Mann, als er eines Samstags unangemeldet in der Taubengasse vorbeischaute. Der Mann war erstaunlich jung und stand mit der Oma auf dem Gehweg vor dem Gartentor. Er wollte sich gerade von ihr verabschieden, wie Billy dachte, denn die beiden umarmten sich heftig. Warum der Mann der Oma dann aber ordentlich in den Hintern kniff und sie dabei so seltsam quiekte, das verstand Billy damals noch nicht. »Mann, Mann, die Oma«, lachte er, als er Jahre später endlich begriff, was da los gewesen sein mußte.
    Ihre Reise führte ans ligurische Meer, nach Corniglia, einen kleinen Ort in den italienischen Cinque Terre, oberhalb von La Spezia. Für drei ganze Wochen und mit der Bahn. Es war Billys erste Reise ins Ausland und dementsprechend heftig waren die Eindrücke, die auf ihn niederprasselten. Alles war fremd und neu, aber gerade deswegen spannend und schön. Es roch anders in den Straßen, das Licht hatte eine andere Intensität, und die Menschen lebten in einem anderen Rhythmus. Die Realität der Ferne war am Ende doch etwas anderes als die Erzählungen seiner Oma. Sie vibrierte. Weil sie keine bloße Phantasie war, sondern ein wirklicher Traum.
    Außerdem schien das ganze Leben in diesem Italien ein gutes Stück gemütlicher zu laufen als in good old Germany. Irgendwie entspannter, friedlicher. »Das liegt am Essen, am Wein und vor allem am Wetter«, erklärte Oma Elisabeth den Kausalzusammenhang. »Wenn den ganzen Tag die Sonne scheint, scheint sie einem irgendwann auch mitten ins Herz.«
    Als der Zug nach langer Fahrt endlich in den kleinen Bahnhof von Corniglia einfuhr, stiegen die beiden bestens gelaunt aus und machten sich daran, nach einer Unterkunft für dienächsten Wochen zu suchen. Oma Elisabeth hatte sich vor der Abreise gar nicht erst darum gekümmert. Sie ließ die Dinge lieber auf sich zukommen und vertraute wie bei so vielen Fragen gerne auf das Schicksal. Mit Recht, wie sich mal wieder zeigen sollte, denn die Suche war schnell erfolgreich. Nach weniger als einer Stunde hatten sie eine geeignete Bleibe gefunden.
    Die Signora, bei der sich die beiden einmieteten, wohnte in einem kleinen, schluchtenartigen Gäßchen, direkt um die Ecke von der Kirche. Es war ein schlankes, freundlich gelb gestrichenes Haus, in dessen rissige Fassade schon vereinzelt die Botanik Einzug gehalten hatte. Die grünen Fensterläden hatten Lamellen und waren aus Holz, und entsprechend der Mittagshitze, die sich überall staute, waren sie geschlossen, als Billy stolz an der Klingel ziehen durfte, die rechts neben der Tür angebracht war. Daneben hatte man der Mutter Gottes einen Unterstand in die Wand gehauen.
    Billy und die Oma wohnten im obersten Stockwerk des Hauses, das zu einer schlichten Ferienwohnung ausgebaut war. Es gab alles, was man zum Überleben brauchte; auf überflüssige Extras hatte der asketische Innenarchitekt dagegen verzichtet. Die Küche und die Dusche waren integriert, das Klo dagegen separat. Vom Herd ins Bett verlor man keine unnötige Zeit. Lediglich einen billigen Tisch und zwei Klappstühle mußte man umkurven, schon fiel man in eines der beiden harten Lager. Gegenüber stand eine klobige, pechschwarze Schrankwand, auf der die nächste Mutter Gottes ihr Plätzchen gefunden hatte.
    Der einzige Luxus, den die Ferienwohnung zu bieten hatte, ließ ihre Kargheit schnell vergessen. Zwischen den Betten und der Schrankwand befand sich eine Flügeltür – ebenfalls grünes Holz, ebenfalls Lamellen – und kaum hatte man sie geöffnet, stand man auf einer großen, mit Terracottafliesen belegten Terrasse. Ein wahres Sonnenod, bestellt mit einer Vielzahl von Pflanzen, einem kleinen Tisch und zwei morschenLiegestühlen. Dazu gesegnet mit einem Ausblick über den Ort samt der kleinen Bucht, dem Miniaturhafen mit den bunten Fischerboote und den steil zum brandenden Meer abfallenden Hängen, wo selbst an den halsbrecherischsten Stellen die Agaven wuchsen. Keine Frage, hier war der Platz, um sich zum Frühstück die Salami von Luigi auf das Weißbrot von Magda zu schneiden und vor dem Insbettgehen ein Glas Rotwein von Signor Maldini aus Gläsern von »Made in China« zu trinken. Billy trank übrigens mit. Oma Elisabeth hatte es ihm erlaubt. Ausnahmsweise. Er fand das einen feinen Zug. Und es schmeckte ihm. Und wie.
    Die restliche Zeit wurde im Sinne von schönen Ferien genutzt. Gegessen wurde viel und
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