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Das weisse Kaenguruh

Das weisse Kaenguruh

Titel: Das weisse Kaenguruh
Autoren: Matthias Praxenthaler
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Und so wandte er die Strategie an, die er sich irgendwann zu eigen gemacht hatte. Mit antrainierter Entscheidungsschnelle ging er zügig an den vorderen Pissoirs vorbei, bis ganz ans Ende des Raums, um sich vor der letzten von insgesamt fünf Schüsseln zu postieren. Das hatte natürlich System. Es würden somit noch zwei weitere Austrittswillige ihr Plätzchen finden, ohne daß man direkt nebeneinander stehen mußte. Es war wie am Bankschalter. »Abstand halten«, hieß die Devise. Allein schon aus Höflichkeit. Und wegen des Respekts vor dem Mitmenschen.
    Eine Zeitlang lief alles rund. Billy hatte Haltung angenommen, und es kitzelte auch schon verdächtig, als plötzlich die Tür aufflog und ein Typ hereinkam. Und dann ging alles ziemlich schnell. Billy hielt zwar den Blick stur nach vorn, aber aus dem Augenwinkel konnte er erkennen, daß der Typ einen silberfarbenen Anzug anhatte, das Haar schulterlang und offen trug, sich kurz umschaute und dann schnurstracks in seine Richtung lief. Es war unglaublich. Der Typ ließ die ersten beiden Schüsseln unberücksichtigt, machte auch an der dritten nicht halt, sondern lief unbeirrt weiter, um sich am Ende wie selbstverständlich für das vierte Urinal zu entscheiden, die Schüssel direkt neben Billy, keinen Meter von ihm entfernt. »Ob er wohl schwul ist?« fragte sich Billy und dachte umgehend an George Michael.
    Er war es nicht. Denn das, was nun folgte, hätte sich ein Schwuler nie erlaubt. Der Typ stellte seinen Alu-Aktenkoffer zwischen sich und Billy, lehnte sich mit einem Arm gegen die Wand, stieß einen Schwall alte Luft aus und ließ zur Begrüßung erst einmal richtig einen fahren.
    »O Mann, tut das vielleicht gut!« war das erste, was er von sich gab, als sein Furz verhallt war und sein mächtiger Strahl fast zeitgleich gegen das Porzellan prasselte. Dann drehte er sich zu Billy um.
    »Na? Bei dir läuft’s dafür aber nicht so spitze, was?«
    Billy war für einen kurzen Moment raus. Erst das Puzzle und dann das. Ein bißchen viel für seinen Geschmack. Aber zum Glück kannte er die Situation ja. Am Pissoir war er ein Profi und hatte sein kleines Problem immer fest im Griff. Er machte einfach das, was half. Er blieb entspannt.
    »Das kannst du natürlich nicht wissen«, begann er seinen traditionellen Standard für diesen Notfall. »Ich muß gar nicht. Ich häng hier nur so rum. Einfach so. Ist eine Art Fetisch.«
    »Sieht mir eher nach der Prostata aus«, schoß der Typ zurück.
    »Habe ich auch erst gedacht. Aber meine Ärzte schließen das aus«, parierte Billy und stellte mit großer Genugtuung fest, daß das Kribbeln nach kurzer Unterbrechung zurückgekehrt war, dabei schnell kräftiger wurde und schließlich und unmißverständlich die nahende Erlösung ankündigte. So konnte es ihn auch nicht mehr beeindrucken, daß der Typ nachsetzte.
    »Und wie lebt es sich mit diesem Fetisch? Geht da was?« wollte er wissen.
    »Sag mal, was wird das hier eigentlich? Eine Runde Smalltalk beim Pissen? Weil es gerade so lauschig ist?«
    Billy wurde jetzt etwas energischer. Er drehte sich nach rechts und sah dem Typ scharf ins Gesicht. Außerdem kam er. Und wie. Er war selber ganz überrascht.
    »Respekt«, sagte der Typ, als er das bemerkte. »Erst erzählst du mir, du mußt gar nicht. Und jetzt pißt du wie ein japanischer Wasserbüffel.«
    »Nur für dich«, sagte Billy.
    »Danke, nicht nötig. Aber sag mal. So einer wie du, ja? So ein Wahnsinniger, wo will so einer hin?«
    Ach so, dachte sich Billy und roch den Braten.
    »Der Irre will nach München«, antwortete er nach einer längeren Pause und genoß dabei die letzten Schübe, die er noch rauspressen konnte.
    »Guter Freund Zufall«, freute sich der Typ nun. »Ich wußte es. Ich mußte dich treffen. Wem immer sei Dank!«
    Damit war für Billy alles klar.
    »Laß mich raten. Du willst auch nach München.«
    »Und wie. Ich komm von da. Und wer einmal da war, will immer wieder hin. München ist schließlich der Himmel auf Erden. Hast du das etwa nicht gewußt?«
    Billy rüttelte kurz durch und knöpfte dann seine Hose zu.
    »Nur du allein, oder stehen draußen noch ein paar Freunde von dir?« wollte er wissen.
    »Du meinst solche, die sich seit Wochen nicht gewaschen haben und mit Turnschuhen an den Rucksäcken? Da muß ich dich enttäuschen«, sagte der Typ und klopfte Billy auf die Schulter. »Ich und mein Koffer hier, wir reisen allein.«
    Billy schaute kurz nach unten.
    »Ziemlich leichtes Gepäck«, warf er
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