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Das weisse Horn

Das weisse Horn

Titel: Das weisse Horn
Autoren: Iwan Antonowitsch Jefremov
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enttäuschte
    ihn nicht.
    Mühelos erreichte er den schmalen Vorsprung und bezwang
    auch den. Hier verließ ihn der Wind plötzlich, da er von
    einem Nachbargipfel aufgehalten wurde. Und von neuem
    begann der ausweglose tödliche Kampf. Ussolzew rutschte
    weiter hinunter und versuchte verzweifelt, sich irgendwo
    zu halten. Mit letzter Kraft konnte er sich wieder fangen
    und begann erneut zu gleiten. Sein Körper wurde zer-

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    schunden, und seine Fingernägel rissen ab. Die Umwelt
    verschwand ganz aus seinem Bewußtsein, und es blieb nur
    die Empfindung, sich mit aller Macht an jeden Vorsprung
    der Steinwand zu klammern und unter sich krampfhaft die
    wegrutschenden Stützen zu suchen, sich an den Stein zu
    pressen und gegen die ihn erbarmungslos hinabziehende
    Kraft zu kämpfen. Niemajs mehr konnte sich Ussolzew an
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    das Ende seines Abstiegs vom Ak-Mjungus erinnern. Im
    Gedächtnis blieb nur der allerletzte Augenblick. Er hatte
    keine Kraft und keinen Willen mehr. Seine zerschundenen
    Hände lösten sich wie von selbst, er berührte mit seinen
    Füßen einen scharfen Vorsprung, prallte zurück, fiel auf
    den Rücken und erreichte den Talgrund hinter dem Weißen
    Hörn, als sich schon die Dunkelheit auf ihn senkte.
    Als er die Augen wieder aufschlug, leuchtete über ihm der
    goldene Morgenhimmel. In geringer Höhe kreiste e'in
    großer Geier, dessen Federn an den ausgebreiteten Flü-
    geln deutlich zu erkennen waren. Ussolzew sah lange auf
    den Vogel, bis er merkte, daß sich der Geier diesmal direkt
    bei ihm niederließ. Nein! Er war nicht umgekommen! Er
    hatte sogar das Weiße Hörn besiegt, und der Geier sollte
    ihn nicht haben!
    Ussolzew versuchte, sich aufzusetzen. Irgend etwas hin-
    derte ihn daran. Da fühlte er das am Rücken angebundene
    Schwert. Er befreite sich,davon und richtete sich auf.
    Schwindel erfaßte ihn. Mit Schrecken sah Ussolzew seine
    vom Blut schwarzen Hände und Füße, seine schmutzige,
    zerfetzte Kleidung. Er machte einige Bewegungen und
    überzeugte sich, daß seine Knochen heil waren. Ohne auf
    den heftigen Schmerz in seinen Füßen zu achten, stand er
    auf. Er hörte das grüßende Wiehern seines Pferdes und
    verlor wieder das Bewußtsein.
    Kaltes Wasser floß ihm über seine Stirn und in den Mund.
    Er schluckte unaufhörlich, um seinen unersättlichen Durst
    zu stillen. Dabei öffnete er die Augen und sah wieder den
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    blauen Himmel über sich, der jetzt Gluthitze ausatmete,
    und das erschreckte Gesicht des alten Uiguren. Mühsam
    erhob sich der Geologe auf die Knie. Der Uigure wich mit
    ehrerbietiger Furcht zurück.
    „Warum fürchtest du dich, Arslan? Ich lebe!"
    „Wo warst du, Chef?" fragte Arslan.
    „Dort!" Ussolzew hob die Hand zum Himmel.
    über dem Tal ragte schwarz die Schattenseite des Ak-
    Mjungus in die Höhe.
    „Hier, sieh!" Er streckte dem Uiguren das Schwert mit dem
    goldenen Griff entgegen. Die Hälfte der Klinge war beim *
    Abstieg abgebrochen. Unter der rissig gewordenen brau-
    nen Umhüllung blitzte der kostbare blaue Stahl auf, der
    Stahl der legendären persischen Waffenschmiede.
    Der Alte sank auf die Knie, ohne das Schwert zu berühren.
    „Was ist denn? Nimm! Sieh doch!" wiederholte Ussolzew.
    „Nein!" der Uigure schüttelte den Kopf. „Kein Mensch darf
    ein solches Schwert nehmen. Nur ein Batur wie du .. .*
    Zwei große, kugelförmige Karagatsche, die fächerartig aus
    einem einzigen Wurzelstamm emporwuchsen, standen
    am Rand der Siedlung. Hinter ihnen erhob sich, von
    blauem Dunst überzogen, der Wall des Ketmen-Gebirges.
    Ussolzews Paßgänger ließ den letzten mit Wermut be-
    wachsenen Hügel hinter sich. Ein schmaler Steppenpfad
    mündete in den weichen Staub eines ausgefahrenen Weges.
    Der Weg bog am Rande grüner Gärten nach links ab und
    mündete in einen anderen, der nach Süden führte, über
    diesem erhob sich eine gelbe Staubwolke — ein mit einer

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    Eastmatte bedeckter Wagen kam von Podgorny den Weg
    entlang. Der Reiter, der am Wegrand ritt, spornte plötzlich
    sein Pferd und kam direkt auf Ussolzew zu. Ussolzew
    straffte die Zügel.
    Wera Borissowna kam ihm entgegen!
    „Ich habe Sie schon von weitem erkannt!" Sie blickte ihn
    aufmerksam an. „Wohin reiten Sie?"
    „Ich reite zur Verwaltung. Ich muß sofort eine .schwere
    Erforschung" des Ak-Mjungus organisieren."
    Ussolzew blickte ihr zum ersten Mal ruhig und klar in die
    Augen.
    „Ich habe festgestellt, daß ich Sie ganz und gar nicht
    kenne", sagte Wera Borissowna leise, wobei
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