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Das weisse Horn

Das weisse Horn

Titel: Das weisse Horn
Autoren: Iwan Antonowitsch Jefremov
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großen Kessel rührte, lief zum Pferd.
    „Ich werde es selber absatteln, sonst brennt dir noch dein
    Pilaw a n ! . . . Jetzt möchte ich nicht essen, es ist zu heiß."
    Die schmalen, dunklen Augen des Uiguren blickten Ussol-
    zew forschend an.
    „Wieder auf Ak-Mjungus gewesen?"
    „Nein..." Ussolzew errötete leicht. „Nur in dieser Rich-
    tung, aber ich bin vorbeigeritten."
    „Die Alten sagen, auf Ak-Mjungus nicht einmal sitzt Adler.
    Er scharf wie ein Schemschir***", fuhr der Uigure fort.
    Ussolzew antwortete nicht, er entkleidete sich und ging
    zum Bach. Das erfrischende, klare Wasser brach sich an
    den scharfen Steinen und sah von weitem wie ein Streifen
    weißen, zerknüllten Samtes aus. Das helle Geplätscher war
    * kara agag (türk.) = schwarzer Baum, eine besondere Art der Ulme.
    *> Die Uiguren sind eine Völkerschaft der türkisdien Sprachengruppe, die in den östlichen Gebieten der Kasachischen SSR und in einigen Gebieten Westchinas lebt.
    »** Schwert.

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    ein Genuß nach den toten, zerklüfteten Tälern und dem
    Heulen des Windes.
    Erfrischt durch das Bad, legte sich Ussolzew in den Schat-
    ten eines Schutzdaches, begann zu rauchen und verfiel in
    dumpfes Grübeln. Das Bewußtsein seiner Niederlage ver-
    leidete ihm die Ruhe. Sein Glaube an sich selbst war er-
    schüttert. Er versuchte, sein Gewissen damit zu beruhigen,
    daß das Weiße Horn allgemein als unbesteigbar galt, aber
    es gelang ihm nicht.
    Entgegen einem längst gefaßten Entsdiluß erhob er sich
    und ging langsam zu dem hohen Zelt unter dem Karagatsch.
    Wera Borissowna wohnte dort. Sie leitete eine Schürf-
    gruppe, die das ganze Vermessungsgelände nach Erzvor-
    kommen erforschte.
    Neben dem Zelt saß auf einer Kiste ein molliges Mädchen
    mit einer runden Brille und nähte. Sie begrüßte Ussolzew
    freundlich.
    „Ist Wera Borissowna im Zelt?" fragte der Geologe.
    „Ja, sie liest schon den ganzen Tag."
    „Treten Sie ein, Oleg Sergejewitsch", rief eine weiche, ein
    wenig spöttisch klingende Stimme aus dem Zelt. „Ich habe
    Sie schon am Gang erkannt."
    ,,Am Gang?" fragte Ussolzew ungläubig und schlug den
    Vorhang des Zeltes zurück. „Was haben Sie Besonderes
    an ihm gefunden?"
    „Er ist genau so schwerfällig wie Sie!"
    Ussolzew fuhr auf, beherrschte sich aber und blickte vor-
    sichtig in die strengen, grauen, goldig funkelnden Augen.
    „Ist etwas los?"

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    „Nichts ist los", erwiderte Ussolzew schnell. „Sie fahren
    doch bald weg, und ich kam, um mich von Ihnen zu ver-
    abschieden."
    „Ich hatte heute einen faulen Tag. Meine Kollegen sind
    nach Podgorny zur Post gefahren. Die Verwaltung hat uns
    schon vorige Woche über die Änderung des weiteren Pla-
    nes telegraphiert. Sie sollten jetzt eine genauere An-
    weisung schicken. Die Arbeit ist hier beendet, und wir
    stehen vor dem Abflug.
    Hier ist ein ausgezeichnetes Buch! Man hat es mir per
    Post zugeschickt — ich habe schon den ganzen Tag darin
    gelesen. Morgen ist auch Ruhetag, und dann geht's in
    neues Gelände, wahrscheinlich zum Kegen. Schade, daß
    wir hier keinen Erfolg hatten. Wir haben nur einige
    Kassiteritkristalle* gefunden, das war alles. Und die
    Vorkommen, die irgendwann einmal auf den Bergen
    lagen, sind längst zerstört und abgetragen."
    „Ja, wenn wenigstens die höheren Gipfel unversehrt ge-
    blieben wären", pflichtete ihr Ussolzew bei.
    ,,Nur das Weiße Hörn", seufzte Wera Borissowna. „Aber
    das ist ja unbesteigbar, und vom Gipfel fällt nichts her-
    unter. Es muß ein sehr hartes Gestein sein. Ich rate Ihnen,
    ein Geschütz anzufordern, um ein Stück von dem Hörn ab-
    zuschießen, sonst ist es schlecht um Ihre Sache bestellt, und
    das Geheimnis bleibt ungelöst", schloß sie und sah lächelnd
    zu ihm auf.
    Ussolzew streckte die Hand nach dem Buch aus, das auf
    dem Koffer lag.
    * Zinnerz.
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    „Die Besteigung des Everest. Damit also haben Sie sich
    den ganzen Tag beschäftigt?"
    „Ein wundervolles Buch! In seinen Seiten liegt der Abglanz
    des ewigen Schnees der Himalajagipfel. Mich nahm —
    wie soll ich es Ihnen sagen? — mich nahm nicht der An-
    griff auf den Everest selbst gefangen, sondern die allmäh-
    liche innere Bezwingung, die jeder Bergsteiger durch-
    gemacht hat. Verstehen Sie? Der Kampf des Menschen,
    über sich selbst hinauszuwachsen!"
    „Ich verstehe, was Sie meinen", antwortete Ussolzew.
    „Die Forscher haben aber den Gipfel des Everest doch
    nicht erreicht?"
    Die Augen Wsra Borissownas verdunkelten sich.
    „Ja, von ihrem
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