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Das weisse Horn

Das weisse Horn

Titel: Das weisse Horn
Autoren: Iwan Antonowitsch Jefremov
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wie
    polierter Stein. Festgefügte Platten aus dunkelgrauem und
    schokoladenfarbenem Schiefergestein, die mit feinen Quarz-
    adern durchzogen waren, bildeten die dünnschichtige
    Oberfläche der Steilwand. Wie sehr Ussolzew auch
    seine Phantasie anstrengte, er hatte nicht die geringste
    Hoffnung, an dieser Seite hochzukommen. Keine fünfzig
    Meter konnte man dem Ak-Mjungus an dieser Stelle
    abringen. Der östliche Ausläufer des Berges war ein
    messerscharfer Grat mit tiefen Scharten.
    Nein — den einzigen Weg gab es auf der südwestlichen
    Seite, aus dem Tal, welches das Weiße Hörn von den an-
    deren Berggipfeln trennte, an der Stelle, wo es Ussolzew
    gelungen war, fast hundert Meter hochzuklettern, also
    ein Drittel des furchtbaren Berges zu besteigen. Bis zum
    Gipfel waren es noch zweihundert Meter, und jeder von
    ihnen war unbezwingbar.
    Ussolzew warf den Kopf in den Nacken und betrachtete die
    Felsgrate. Wenn man eine Spezialausrüstung, Haken,
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    Seile und erfahrene Kameraden hätte .... Aber woher all
    das nehmen! Sogar Bergsteiger lehnten die Besteigung
    des Weißen Hornes ab.
    Ussolzew wandte sein Pferd und ritt um den Ak-Mjungus
    herum, zum Ausläufer des trockenen. Tales.
    Everest, Nomiomo, Makalu, Kangtsdiengjunga sind die
    höchsten Spitzen des Himalaja, dachte er. Was ist der
    Himalaja? Der leuchtend blaue Chan-Tengri und die dia-
    mantenen Zacken des Sarydshas schienen ihm ganz nahe
    zu sein. Herrlich waren die drohenden Schneegipfel.
    Und hier? Niedrige, düstere Berge, ein trüber, von der
    Hitze lilafarbener Himmel, nichts als Staub und der flim-
    mernde Steppendunst... Nein, man soll nicht übertreiben!
    Auch diese windige, glühende Weite ist schön, und diese
    Bergtrümmer haben ihren eigenen Zauber.
    Da war die Säule einer Pegmatitader, die ihn an zartes
    Fleisch erinnerte. Sie durchzog die dunkle Masse des
    Schiefergesteins. An den Vorsprüngen dieser Säule ge-
    langte er damals auf die schräg gegenüberliegende zweite
    Ader. Aber weiter gab es keinen Weg. Er hatte versucht,
    an dem steilen Abhang weiter zu kriechen und sich wie
    ein Wurm gewunden. Der Abhang war mit feinem Geröll
    bedeckt, das unter seinen Füßen immer wieder nachgab
    und nicht die geringste Stütze bot. Hier wäre beinahe die
    Katastrophe eingetreten . . .
    Ussolzew sprang aus dem Sattel und stieg den gegen-
    überliegenden Talabhang hoch.
    Nein, daraus wird nichts. Um diesen steilen Abhang kommst
    du nicht herum. Wenn man den nordwestlichen Grat über-
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    wand, könnte man über den glatten Abhang bis zum
    Weißen Horn gelange. Aber wie sollte man sich auf dem
    Grat halten? Wer wird ein Seil von der Spitze des Berges
    herunterlassen? Ussolzew folgte mit dem Blick dem imagi-
    nären Seil und bemerkte plötzlich am Fuße der weißen
    Zacke ein kleines Plateau, vielmehr einen Vorsprung der
    unteren schwarzen Gesteinsschicht, der an die senkrechte
    weiße Wand grenzte. Die Fläche dieses kleinen Plateaus
    fiel zur Wand des Hornes ab und war deshalb von unten
    her kaum zu sehen.
    „Seltsam, daß ich dieses Plateau früher nicht bemerkt habe!
    Wenn ich erst bis dorthin komme, erreiche ich auch das
    Hörn."
    Ussolzew wurde müde vom Stehen, setzte sich auf einen be-
    quemen Vorsprung und ließ den Berg nicht aus den Augen.
    „Was für ein kühler Abend!"
    Der Arbeitsleiter wälzte sich faul auf der Filzdecke und
    erwartete den Tee.
    „So sein bei Vollmond", meinte Arslan, „dann wehen fünf
    Tage starker Wind von dort." Der Uigure wies mit der
    Hand in die Richtung des Ili-Flusses. „Dann ganz kalt."
    „Wir werden uns vor der Abfahrt noch etwas von der
    Hitze erholen, nicht wahr, Oleg Sergejewitsch?"
    Ussolzew nickte schweigend.
    „Was ist aus Genosse Chef geworden? Sitzt, schweigt.
    Warum früher anders gewesen?"
    Der Uigure lachte verhalten. Aber seine Augen blieben
    ...—-.
    ernst.

2*
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    „Ich verstehe: Chef liebt Ak-Mjungus. Bald fahren nach
    Atschinocho, sobald fertig! Frau ist besser — kann man
    mitnehmen. Ak-Mjungus kann man nicht!"
    Die Jungen begannen zu lachen. Auch Ussolzew lächelte
    unwillkürlich. Ermuntert durch den Erfolg seines Scherzes,
    fuhr Arslan fort:
    „Bei uns alte Legende ist, wie ein Batur* bestieg Ak-
    Mjungus."
    „Warum hast du das nicht früher gesagt? Erzähle, Arslan!"
    rief der Arbeitsleiter interessiert.
    „Dshachschi, erst Tee machen, dann erzählen", antwortete
    Arslan.
    Der alte Uigure stellte den Teekessel hin, zog Pialen"
    und Fladen heraus, setzte
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