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Das war eine schöne Reise

Das war eine schöne Reise

Titel: Das war eine schöne Reise
Autoren: Horst Biernath
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Pflichterfüllung geworden sei? In Wirklichkeit hatte er an einem naßkalten Regentag seine Pelerine daheim vergessen. Die schönen Ehrungen verlängerten seine Dienstzeit um keinen einzigen Tag. Sie betrug siebzehn Jahre, und das bedeutete für die Witwe eine winzige Pension, die auch mit der Erziehungsbeihilfe für ihren Sohn Otto winzig blieb. Natürlich hätte sie damals mit ihren fünfunddreißig Jahren und mit ihrem guten Aussehen die Möglichkeit gehabt, sich wieder zu verheiraten. Es hatte auch an Bewerbern nicht gefehlt. Aber — was sie gehabt hatte, wußte sie, was sie jedoch bekommen würde, das konnte kein Prophet Voraussagen. Sie zog es vor, allein zu bleiben und das Versprechen zu halten, das sie ihrem Mann in seinen letzten klaren Augenblicken gegeben hatte, den Jungen zu einem ordentlichen Menschen zu erziehen und ihn etwas werden zu lassen. Bei der Post wäre er ohne weiteres untergekommen, sogar im Schalterdienst, wo er vor Wind und Wetter und Lungenentzündungen verschont geblieben wäre. Aber ihr Otto hatte andere Neigungen. Von klein auf faszinierten ihn Maschinen aller Art, und so war er schließlich nach einem kurzen Besuch des Polytechnikums und einigen anderen Zwischenstationen als technischer Zeichner im Konstruktionsbüro Klampmann & Spiller gelandet.
    Von ihrer kleinen Pension hätte sich Frau Lobedanz die schöne Wohnung in der Eichendorffstraße nicht leisten können, aber mit
    Ottos Gehalt zusammen konnten die beiden recht bequem leben. Natürlich langte es nicht für große Sprünge, aber einen kleinen Hupfer konnten sie sich gelegentlich schon erlauben. Und fast üppig wurde der Lebenszuschnitt, als Frau Lobedanz ihr Geschick für Hand- und Nadelarbeiten kommerziell auszunutzen begann. Als sie sich dann noch eine Strickmaschine anschaffte, auf Ratenzahlungen natürlich, die aber erstaunlich schnell abgestottert wurden, da gedieh der kleine Betrieb zu einer richtigen Industrie. Der Kundenkreis wurde allmählich so groß, daß sie Mühe hatte, mit den Aufträgen fertig zu werden.
    Die Kundinnen von Frau Lobedanz hatten gewiß keine Ahnung davon, daß der freundliche junge Mann, der ihnen zuweilen die Tür öffnete, an den Produkten seiner Mutter einen erheblichen Anteil hatte. Er war es nämlich, der den Schlitten der Strickmaschine — ratschbumm — über die Haken warf. Wenn dann Frau Lobedanz später die Einzelteile mit Nadel und Faden zusammenprudelte, las Otto ihr die Romane und Tatsachenberichte aus den Illustrierten vor. Sie waren nämlich auf einen Lesezirkel abonniert. Zwar bekamen sie die Hefte erst, wenn diese schon zehn Wochen alt waren, und erfuhren von den Ehen der Filmstars zumeist erst dann, wenn diese längst schon wieder geschieden waren. Dafür kosteten die Hefte aber auch erheblich weniger. Ärgerlich dabei war nur, daß Vorabonnenten die Kreuzworträtsel zum größten Teil bereits gelöst und nur die allerschwierigsten Brocken übriggelassen hatten, Fragen, an denen zehn Familien kläglich gescheitert waren. Oder wissen Sie etwa, wie der Sohn von Hektor und Andromache Astyanax hieß? Aber gerade das spornte den Ehrgeiz von Otto Lobedanz mächtig an, und es kam ganz selten vor, daß er die Hefte ohne vollständige Lösungen an den Boten weitergeben mußte. Frau Lobedanz bewunderte die hohe Bildung ihres Sohnes rückhaltlos. Er wußte einfach alles.
    Es war ein sehr stilles Leben, das die beiden führten. Manchmal leisteten sie sich einen Kinobesuch, und an hohen Festtagen gingen sie zum Essen in ein Lokal, wobei sie sich hinterher darüber einig waren, daß nichts über die Bratensoße ging, die es daheim gab. Alle vierzehn Tage ging Otto Lobedanz zum Kegeln und einmal wöchentlich in seinen Schwimmverein. Er hatte Mühe genug gehabt, sich diese kleinen Freiheiten zu erkämpfen.

    Frau Lobedanz wartete manche Nacht vergeblich auf den Schlaf. Was ihr den süßen Schlummer verscheuchte, war die Furcht, den Sohn eines Tages auf die natürlichste Weise von der Welt zu verlieren, indem er nämlich heiratete. Es wäre ihr nie eingefallen, zuzugeben, daß diese Furcht aus sehr eigennützigen Erwägungen herrührte. Der Gedanke, ihr Otto könnte ihr eines Tages ein Mädchen ins Haus bringen, machte sie sterbenskrank. Keine Ehefrau konnte die Taschen ihres Gatten eifersüchtiger überwachen, als sie es heimlich bei ihrem Sohn tat. Es dauerte lange, bis er dahinterkam, daß gelegentliche »Ein-Tages-Krankheiten« bei seiner Mutter stets dann einsetzten, wenn sie vermutete,
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