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Das wahre Leben

Titel: Das wahre Leben
Autoren: Milena Moser
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Frau hingegen schien das gar nicht schlimm zu finden. Sie winkte lachend ab. «Das macht nichts», sagte sie. «Du bist ein Pferd. Pferde sind gut. Ich bin selber eins!»
    Bevor Erika fragen konnte, was es bedeutete, ein Pferd zu sein, drängte sich ein junger Mann neben sie, streckte der Frau eine bestickte Stofftasche entgegen, er wollte bezahlen. Dann wurde Erika von der Masse weitergetrieben.
    Â«Hier bist du!» Mona hängte sich bei ihr ein. «Ich hab dich überall gesucht. Little Miss Sunshine hat uns einen Tisch reserviert, kommst du?»
    Erika verdrehte die Augen. «Müssen wir?»
    Â«Du hast sie doch eingeladen.»
    Â«Nein, sie hat sich mir aufgedrängt.»
    Mona konnte Susanne ebenso wenig ausstehen wie Erika, aus demselben Grund. Einen Augenblick lang dachten beide Frauen dasselbe: Komm, wir hauen ab. Lassen sie sitzen. Machen uns einen schönen Nachmittag. Doch da winkte ihnen Susanne von einem der langen Tische zu.
    Â«Ich hab uns ein paar indische Leckereien geholt», strahlte sie. Sie zeigte auf das Metalltablett: «Samosas, frittiertes Gemüse, Pappadam …»
    Â«Champagner?», fragte Erika. Mona kicherte.
    Â«Ich glaube, hier wird kein Alkohol ausgeschenkt», sagte Susanne ernst. «Ich habe uns kalten Chai geholt.»
    Â«Auch gut.» Erika tastete nach ihrer Flasche. Sie unterhielten sich über die bevorstehenden Sommerferien, über ihre Pläne. Max würde ein Weberinnenkollektiv in Südindien besuchen, Erika eine Ayurvedakur machen. Vielleicht veränderte sich ihr Leben ja dort. Wenn nicht in Indien, wo dann?
    Â«Also, mich hat das irgendwie schon berührt.» Mona schob das Tablett außer Reichweite. «Ich weiß nicht, wann ich das zuletzt gehört habe. Du Liebe, Liebe, Liebe …» Sie wandte sich nur an Erika, als säße Susanne nicht neben ihr.
    Erika knabberte an dem trockenen Fladenbrot. «Ich weiß nicht. Ich habe nichts gespürt.»
    Â«Ja, du», sagte Mona heftig. «Schon klar. Du hörst das vermutlich ständig! Dein Mann liebt dich, das ist offensichtlich!»
    Tat er das wirklich? Warum sagte er es dann nicht? Und warum war es für Außenstehende offensichtlich, aber für sie nicht? Warum fühlte Erika sich nicht geliebt?
    Niemand konnte sich die Stille vorstellen, die zwischen ihnen herrschte, wenn sie allein waren. Seit Jahren vermieden sie es, miteinander allein zu sein. Die Stille füllte den Raum wie ein giftiges Gas, verschluckte jeden Gedanken, jedes Wort, jede Berührung. Niemand würde ihr glauben, wenn sie versuchte, diese Stille zu beschreiben. Niemand würde sie verstehen, schon gar nicht ihre Freundinnen, die nicht müde wurden, ihr vorzuhalten, was für ein großes Glück sie hatte mit diesem Mann. «So ein toller Mann! Und so gutaussehend. Und erst noch anständig, einer mit Idealen! Einer, der denkt und diskutiert!»
    Â«Ja, in der Öffentlichkeit.»
    Man kannte Erika und Max als eingespieltes Paar, das reibungslos funktionierte. Jeder Seitenblick saß, jede Berührung, jede halblaute Bemerkung. Es war gar nicht unbedingt so, dass diese Intimität, diese Vertrautheit gespielt war, es war mehr so, dass sie sich nur in Gesellschaft an sie erinnerten. Erika dachte, dass sie schuld sei an dieser Entfremdung.
    Sie fühlte sich nicht geliebt, weil sie nicht liebenswert war. Das musste es sein. Das sagte Gerda immer. «Du weißt gar nicht, wie gut du es hast», sagte Gerda. Und das sagte Mona jetzt auch: «Du weißt ja nicht, wie gut du es hast. Du hast den letzten anständigen Mann der Schweiz geheiratet!»
    Susanne blickte skeptisch. «Ihr wollt das vielleicht nicht hören, aber mein Markus ist auch ein anständiger Mann.»
    Mona sah die Jüngere an, als hätte sie vergessen, dass sie mit am Tisch saß. «Einer, der seine Frau für eine Jüngere sitzenlässt, ist nicht anständig, sorry!»
    Â«Aber so war es doch gar nicht! Markus war sehr unglücklich in seiner Ehe», sagte Susanne. «Hätte er denn bleiben sollen? Hätte er das Glück wegschicken sollen, als es an seine Tür klopfte? Wem hätte das etwas geholfen?»
    Â«Lass mich nachdenken – Jolanda vielleicht?» Mona sagte es scharf, obwohl sie Markus’ erste Frau auch nicht gemocht hatte.
    Â«Jolanda hat doch von der Scheidung nur profitiert! Aber, ich weiß, ich sollte nichts sagen, ihr wart ja mit
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