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Das Wahre Kreuz

Das Wahre Kreuz

Titel: Das Wahre Kreuz
Autoren: Joerg Kastner
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Ihrer weiteren Laufbahn besondere Aufmerksamkeit widmen.«

    Ich trug die Fackel und ging voran, als wir tief in das alte Bauwerk hinabstiegen. Wer es errichtet hatte und welchen Göttern hier gehuldigt worden war, bevor die Abnaa Al Salieb es zu ihrer Zuflucht erkoren, war uns nicht bekannt und würde vielleicht erst in ferner Zukunft erforscht werden, wenn es gelang, die seltsamen Zeichen überall an den Wänden zu lesen.
    »Wohin gehen wir?« fragte ich, als wir unten angekommen waren.
    »In die Bibliothek«, antwortete Ourida.
    »Von der Jussuf angeblich nichts wußte!« sagte ich.
    Onkel Jean sah Ourida fragend an. »Also braucht man wirklich die Bücher, um das Geheimnis zu lüften?«
    Aber Ourida lächelte nur still in sich hinein. Wir setzten unseren Weg fort und blickten schließlich durch den Mauerdurchbruch in die geheime Bibliothek mit ihren drei Wänden voller Bücher. Hier schien alles unverändert.
    »Ich kann die Schrift übrigens wirklich lesen«, sagte Ourida.
    »Sie ist heute kaum noch gebräuchlich, aber unser Stamm pflegt alte Traditionen. Wir haben diese Bücher über viele Generationen zusammengetragen, und das Wissen, das sie bergen, ist von unschätzbarem Wert. Es ist sehr bedauerlich, daß wir sie nicht mitnehmen können.«
    »Wir sind in der Tat nicht hier, um die Bücher zu retten«, sagte mein Onkel. »Uns geht es um das Geheimnis, das in ihnen verborgen ist.«

    »In den Büchern steckt kein Geheimnis«, erwiderte Ourida zu unserer Verblüffung. »Sie haben nichts mit dem Wahren Kreuz zu tun.«
    Mein Onkel hob die Hände, wie um sich die Haare zu raufen. »Warum sind wir dann hier?«
    »Das Wahre Kreuz ist hier, aber es steht in keinem Zusammenhang mit den Büchern. Wir haben dieses Versteck gewählt, um ein Geheimnis durch das andere zu schützen.« Onkel Jeans Gesicht hellte sich auf. »Ah, ich verstehe! Wer die Bibliothek entdeckt, glaubt, der Raum sei zugemauert worden, damit niemand die Bü-
    cher findet. Er würde nicht auf die Idee kommen, daß hier ein ganz anderes Geheimnis verborgen ist.«
    »Zumindest ein oberflächlicher Mensch würde so denken«, pflichtete Ourida ihm bei. »Aber wenn der Sultan des Feuers den Raum genau untersucht, kommt er vielleicht doch dahinter. Deshalb sind wir hier.«
    Sie kniete sich hin und drückte die ausgestreckte rechte Hand an verschiedenen Stellen auf den Boden.
    Es sah aus, als folge sie einem bestimmten Muster.
    Und dann, ganz unerwartet, öffnete sich mit einem knarrenden Geräusch der Boden. Wie von Geisterhand bewegt glitt ein Stück Fels zur Seite.
    »Ein komplizierter Mechanismus«, sagte Ourida überflüssigerweise. »Mein Urgroßvater Harith hat ihn ersonnen.«
    Sie holte einen länglichen Holzkasten aus der Öffnung und nahm den Deckel ab. Ich senkte die Fackel, um besser sehen zu können, was in dem Kasten lag: eine orientalische Streitaxt mit doppelter Klinge.
    »Das ist die Axt, die der Bischof von Lydda einst Roland de Giraud zu treuen Händen übergeben hat«, sagte ich andächtig. Es war keine Frage, denn ich erkannte die Waffe wieder.

    Mein Onkel deutete auf den Schaft. »Und der Splitter vom Kreuz Jesu ist da drin?«
    Statt zu antworten, nahm Ourida den Verschluß ab und zog ein samtenes Tuch heraus, das sie auf den Boden legte und sorgsam auseinanderschlug. Darin befand sich ein Holzstück von Unterarmlänge, in meinen Augen – wie in denen Roland de Girauds damals – absolut unscheinbar.
    »Enttäuscht?« fragte Ourida. »Was habt ihr erwartet? Daß ihr Allâhs Stimme vernehmt, sobald ihr das Holz seht? Allâh allein entscheidet, wann er zu den Menschen spricht.«
    Sie wickelte das Holzstück wieder ein, schob es in den Schaft der Axt und legte die Axt zurück in den Kasten. Erneut drückte sie auf bestimmte Stellen des Bodens, und die Öffnung schloß sich wieder. Sosehr ich meine Augen auch anstrengte, im flackernden Schein der Fackel war das Versteck nicht mehr zu erkennen.
    Ourida erhob sich und hielt mir den Kasten hin.
    »Trag du es! Vor langer Zeit wurde das Wahre Kreuz dem, der du warst, anvertraut.«
    Ich reichte die Fackel meinem Onkel und nahm zö-
    gernd den Kasten an mich. Auch jetzt merkte ich keine Veränderung, spürte nicht, daß etwas anderes als ein gewöhnliches Stück Holz in der Axt steckte.
    »Verlassen wir diesen Ort!« seufzte Ourida. »Einst lebte ich hier mit einigen Brüdern und Schwestern, um das Wahre Kreuz in diesen unruhigen Zeiten zu behü-
    ten. Jetzt sind sie alle tot, und dies ist
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