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Das Wahre Kreuz

Das Wahre Kreuz

Titel: Das Wahre Kreuz
Autoren: Joerg Kastner
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an der Wissenschaft war groß, sehr groß, sonst hätte er wohl kaum einen ganzen Troß an Gelehrten der verschiedensten Fachrichtungen, an Ingenieuren, Architekten, Schriftstellern und Zeichnern mitgenommen, die ihm helfen sollten, das geheimnisvolle Reich der Pha-raonen in ein erforschtes, deshalb aber nicht minder faszinierendes Land zu verwandeln. Das Institut, dem seit seiner Gründung auch mein Onkel, der renommier-te Archäologe Jean Cordelier, angehörte, sollte sowohl der Wissenschaft als auch der praktischen Verbesserung des Allgemeinzustands von Armee und Bevölkerung dienen.
    Wie ernst Bonaparte die Sache nahm, zeigte er dadurch, daß er den angesehenen Geometer und Mathematiker Gaspard Monge zum Präsidenten und sich selbst zum Vizepräsidenten des Instituts ernannte. Mein Onkel hatte mir erzählt, daß Bonaparte an den Sitzun-gen teilnahm, sooft er nur konnte, und schon so manchen Disput mit großem Eifer geführt hatte.
    Ich selbst, Bastien Topart aus einem kleinen Dorf bei Pontoise, hatte keine wissenschaftlichen Meriten vor-zuweisen und war mit meinen dreiundzwanzig Jahren eigentlich in dem Alter, in dem ich meinen Armeedienst hätte ableisten müssen. Da mir aber eine Kopfverletzung, die ich mir als Kind zugezogen hatte, hin und wieder in Form heftiger Schmerzen zu schaffen machte, war ich, obwohl von großer und durchaus kräftiger Statur, für untauglich befunden worden. Als Soldat wäre ich somit nicht mit nach Ägypten genommen worden und wohl auch nicht als unbekannter Zeichner.
    Zwar wurden auch Zeichner gebraucht, um die Wunder dieses fernen Landes festzuhalten, aber es gab er-folgreichere Kollegen, die man eher als mich gefragt hätte. Onkel Jean hatte seinen Einfluß bei dem Chemiker Berthollet geltend gemacht, der zusammen mit General Caffarelli die Gelehrten und Künstler für die Expedition auswählte. Auf diese Weise war ich an Bord eines der Segler der französischen Flotte gelangt, die im Mai des ereignisreichen Jahres 1798 in Toulon aufgebrochen war, um die englische Vormachtstellung in Nordafrika und Vorderasien zu brechen.
    Ein düsteres Gefühl beschlich mich beim Gedanken an die Flotte, mit deren Hilfe Bonaparte erst die Insel Malta erobert und dann seine Armee nach Ägypten gebracht hatte. Inzwischen lagen die stolzen Schiffe auf dem Grund der Bucht von Abukir, wohin sie von dem einarmigen Teufel Nelson geschickt worden waren.
    Ein lauter Ruf erlöste mich von meinen düsteren Be-trachtungen: »Hierher, die Herren! Das sieht aus wie ein Eingang!«
    Der da rief, war Sergeant Kalfan, ein Veteran vieler Schlachten, der die Soldaten in unserer Begleitung, die so fleißig nach einem Zugang zu dem alten Tempel suchten, befehligte. Er stand genau unter der steinernen Bestie und winkte uns, gleich einem mechanischen Apparat, unentwegt zu.
    »Schauen wir nach, was der gute Sergeant entdeckt hat«, schlug Onkel Jean vor. »Wenn es sich wirklich um einen Eingang in den Tempel handelt, hat er sich eine Extraration Schnaps verdient.«
    »Dafür würde Kalfan uns sogar einen Eingang graben«, erwiderte ich lachend, klemmte den Zeichenblock unter den Arm und folgte meinem Onkel.
    Je näher wir dem Tempel kamen, desto mächtiger wirkte der geflügelte Löwe auf mich, aber die freudige Erregung darüber, daß wir bald das Innere des uralten Bauwerks zu Gesicht bekommen würden, ließ keinen Raum für irgendwelche beklemmenden Gedanken.
    Einmal blickte ich zurück, sah weit hinter uns Abul warnend gestikulieren und lachte innerlich über den abergläubischen alten Narren aus dem Morgenland, nicht ahnend, daß er, der sich in vorsichtiger Entfernung zu dem Tempel hielt, der einzige Kluge unter uns war.
    »Hier, Professor Cordelier«, sagte Kalfan, als wir ihn erreichten, und zeigte auf den Boden. »Der Eingang ist fast zugeschüttet, deshalb haben wir ihn nicht gleich entdeckt. Aber wir werden ihn bald freigeschaufelt haben.«
    »Ein Eingang, der in den Boden, in die Tiefe führt«, murmelte ich, »seltsam. Beinahe wie ein Einlaß in die Unterwelt.«
    »Vielleicht soll es genau das sein«, sagte Onkel Jean.

    »Wir wissen noch zu wenig über die Erbauer dieser Stätte und können nur Mutmaßungen anstellen. Aber vielleicht sind wir schon klüger, wenn wir das Bauwerk von innen gesehen haben. Rufen Sie Ihre Leute, und legen Sie den Eingang frei, Sergeant. Zur Belohnung soll heute abend eine Flasche Wacholderschnaps geleert werden. Wie sagte doch Montaigne? Wenigstens ein Rausch im Monat stärkt den
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