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Das Wahre Kreuz

Das Wahre Kreuz

Titel: Das Wahre Kreuz
Autoren: Joerg Kastner
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dem steinernen Altar vor, auf dem noch immer die gefesselte Frau lag. Halb ängstlich, halb erwartungsvoll starrte sie mich an. Ich wollte ihr etwas Beruhigendes zurufen, doch aus meiner geschundenen Kehle drang nur ein kraftloses Krächzen. Aus einer Rocktasche zog ich mein Klappmesser, das mit seiner kleinen Klinge als Waffe nicht viel taugen mochte. Aber es war scharf genug, um die Fesseln der Unbekannten zu lösen. Der Sergeant erschien neben mir und zog seinen Säbel, um mir zu helfen. Dann hob er die Frau hoch, legte sie über eine seiner breiten Schultern, und wir verließen den raucher-füllten Raum.
    Auch der Gang, durch den wir uns zurückzogen, war nicht frei von dem beißenden Rauch. Wir konnten erst wieder richtig durchatmen, als wir den größeren Gang erreichten. Hier stellte ich fest, daß wir zwar vollzählig, aber allesamt lädiert waren; keiner von uns war ohne Blessuren aus dem Kampf hervorgegangen. Einer der Grenadiere war so schwer verwundet, daß er von einem Kameraden gestützt werden mußte. Ein anderer hielt eine Fackel, die er wohl aus einer Wandhalterung in dem Altarraum genommen hatte – unsere einzige Lichtquelle.
    Ich entdeckte meinen Zeichenblock und nahm ihn auf, bevor ich den anderen folgte. Eilig strebten wir der Treppe zu, über die wir diesen unterirdischen Ort betreten hatten. Während ich mit weichen Knien die hohen Stufen erklomm, erschien mir das nahende Tageslicht wie ein Leuchtfeuer in stürmischer Nacht.

2. KAPITEL
    Ourida
    ir taumelten unterhalb des steinernen Untiers W ins Freie, wo uns die beiden Soldaten, die wir als Wachen zurückgelassen hatten, sofort mit Fragen bestürmten. Sergeant Kalfan klärte sie in kurzen Worten auf und befahl ihnen, den Tempeleingang schärf-stens zu bewachen, mußten wir doch mit Verfolgern rechnen.
    Wir anderen ließen uns ein Stück entfernt nieder, um zu neuen Kräften zu gelangen. Die Grenadiere öffneten ihre Wasserflaschen und boten auch meinem Onkel und mir an, daraus zu trinken. Ich nahm die dargebo-tene Flasche dankbar entgegen und wandte mich der unbekannten Frau zu, die ganz in meiner Nähe hockte und zu Boden starrte. Nur hin und wieder gestattete sie sich einen raschen Blick zum Tempeleingang. Fürchtete auch sie, die Männer in den schwarzweißen Mänteln könnten uns folgen?
    »Trinken Sie, Mademoiselle«, sagte ich mit einem Krächzen in der Stimme, das ich auf die Mißhandlung meines Halses durch den Ritter zurückführte. »Das Wasser wird Ihnen guttun.«
    Die Frau blickte auf, um erst mich und dann die Feldflasche anzuschauen. Aber sie traf keine Anstalten, meiner Aufforderung zu folgen. Selbstverständlich mußte ich damit rechnen, daß sie der französischen Sprache nicht mächtig war, doch meine Geste konnte sie kaum mißverstanden haben. Traute sie mir nicht?
    Vielleicht glaubte sie, ich wolle sie vergiften. Also trank ich zuerst und wischte mir mit einer übertriebenen Geste über den Mund, als hätte ich soeben den köstlich-sten Wein zu mir genommen und nicht abgestandenes, viel zu warmes Wasser. Dann bot ich ihr die Flasche erneut an.
    Täuschte ich mich, oder huschte der Anflug eines Lächelns über das ebenmäßige Gesicht, dessen Anblick allein mich für die Strapazen in dem unterirdischen Tempel entschädigte? Schnell blickte sie wieder ernst drein, fast unbeteiligt. Doch sie griff zu der Feldflasche und trank.
    Als sie die Flasche absetzte, sprach mein Onkel sie an, erst auf französisch, dann auf arabisch. Er fragte sie, wer sie sei und was die Szene in dem Altarraum zu bedeuten hatte. Aber sie reagierte nicht.
    »Stumm wie ein Fisch«, brummte Kalfan.
    »Nicht immer«, sagte Onkel Jean. »Dort unten haben wir ihre Schreie gehört. Vielleicht will sie uns einfach nicht verstehen.«
    Die schweigsame Schöne an meiner Seite hatte mich bereits so für sich eingenommen, daß ich mich bemü-
    ßigt fühlte, ihr zur Seite zu stehen. »Unser eilig gelerntes Arabisch ist nicht das allerbeste, Onkel. Mag sein, sie versteht uns wirklich nicht. Die Menschen hier sprechen allerlei seltsame Dialekte, und manchmal glaube ich, sie können sich nicht einmal untereinander so richtig verständigen. Vielleicht sollte Abul einmal mit ihr reden.«
    »Ein guter Vorschlag, Bastien«, sagte mein Onkel.
    »Bist du so gut und holst ihn her?«
    »Gern«, erwiderte ich und erhob mich sogleich.
    »Wenn ich nur wüßte, wo er steckt.«

    Ich fragte die beiden Wachtposten vor dem Tempeleingang.
    »Der alte Ziegenbart hat sich dort
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