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Das Wahre Kreuz

Das Wahre Kreuz

Titel: Das Wahre Kreuz
Autoren: Joerg Kastner
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anderer Ritter – eine treffendere Bezeichnung für unsere seltsamen Gegner wollte mir nicht einfallen –
    drang mit schlagbereitem Schwert auf meinen Onkel ein und versperrte mir die Sicht.
    Zum Glück war Onkel Jean nicht die schwächliche Gestalt, für die ein Gelehrter oft gehalten wird. Im Gegenteil, er war groß und von kräftiger Statur. Als wir noch im Kloster lebten, hatte ich eines Tages mit angesehen, wie er einem Mitbruder half, den Stamm eines gefällten Apfelbaums aus dem Boden zu ziehen. Ein eingespannter Esel hatte sich erfolglos daran versucht, aber mein Onkel hatte es mit der bloßen Kraft seiner Hände vollbracht. Auch nun, mit seinen zweiundfünfzig Jahren, befand er sich noch im Vollbesitz seiner Kräfte, wovon ich mich überzeugen konnte.
    Er schleuderte dem Angreifer seine Fackel entgegen.
    Überrascht hielt der Ritter inne, wohl nur zwei oder drei Sekunden, aber die Zeit reichte Onkel Jean, um mit beiden Händen den rechten Unterarm des anderen zu packen. Mein Onkel rang mit ihm um den Besitz des Schwertes, und keiner wollte nachgeben. Schließlich sanken beide ineinander verschlungen zu Boden, wo das Gerangel weiterging. Ich wollte Onkel Jean gerade beispringen, als ein mit Schwert und Schild ausstaffier-ter Ritter auf mich zustürmte. In seinem wettergegerb-ten Gesicht las ich wilde, tödliche Entschlossenheit.
    Meine einzigen Waffen waren die beiden Fackeln in meinen Händen, und ich setzte sie ein. Die eine warf ich dem Ritter entgegen, so wie es mein Onkel zuvor getan hatte. Der Ritter wich aus, setzte aber seinen Angriff fort.
    Schon blitzte die Schwertklinge vor mir auf, und im Geiste sah ich bereits meinen abgetrennten Kopf über den Boden rollen. Ich riß die zweite Fackel hoch und rammte sie dem Gegner mitten ins Gesicht. Er schrie schmerzerfüllt auf und ließ Schwert und Schild fallen, um die Hände schützend vor sich zu halten. Dabei riß er mir, wohl mehr aus Zufall, die Fackel aus der Hand.
    Der widerliche Geruch verbrannten Fleisches verur-sachte mir Übelkeit.
    Als der Ritter die Hände sinken ließ, war dort, wo eben noch sein Gesicht gewesen war, eine gräßlich entstellte Fratze, die mich haßerfüllt anblickte. Welche unvorstellbaren Qualen mußte er in diesem Augenblick erdulden! »Du erbärmlicher Hund!« preßte er mit vor Schmerz und Zorn bebender Stimme hervor. »Ich werde dich töten, so langsam, daß du dir wünschen wirst, deine Mutter hätte dich niemals geboren!«
    Und schon schossen seine kettengeschützten Hände vor und schlossen sich um meinen Hals, bevor ich auch nur Anstalten machen konnte, dem Angriff auszuwei-chen. Ich wollte mich losreißen, wollte mit meinen Händen die seinen von mir lösen, aber es gelang mir nicht. Vielleicht war der Fremde von Natur aus stärker als ich, vielleicht auch verliehen ihm Schmerz und Zorn übermenschliche Kräfte. Fest und fester drückten seine Hände zu, und in meinem Hals war ein Stechen wie von tausend Nadeln. Ich ging in die Knie und rang würgend um Atem. Vor meinen Augen begann es zu flimmern, und ich spürte, wie die Lebenskraft aus mir wich.
    Da tauchte Onkel Jean neben dem Ritter auf, mit beiden Händen ein erbeutetes Schwert umklammernd.
    Offenkundig hatte er seinen Gegner besiegt und ent-waffnet. Mein Onkel erfaßte sofort, wie es um mich stand, und schlug hastig und unkontrolliert zu. Das Schwert traf meinen Peiniger mit der flachen Seite an der Brust und schleuderte ihn von mir fort. Ich sog die so dringend benötigte Luft ein und beobachtete, wie mein Onkel das Schwert zu einem neuerlichen Schlag hob.
    Ein faustgroßer Gegenstand fiel dicht neben Onkel Jean zu Boden und zerplatzte mit einem dumpfen Laut.
    Augenblicklich verbreitete sich grauschwarzer Rauch, der noch stärker in den Augen brannte als zuvor der Pulverrauch der Musketen. Der Qualm verbarg den Ritter mit dem verbrannten Gesicht vor mir und wohl auch vor Onkel Jean, der die tränenden Augen zusam-menkniff.
    Sergeant Kalfan tauchte neben meinem Onkel auf und sagte hustend: »Die Kerle haben Rauchbomben geworfen, wollen sich offenbar durch den anderen Eingang zurückziehen. Wir sollten sie nicht daran hindern, wissen wir doch nicht, ob sie irgendwo in diesem unterirdischen Gemäuer noch Verstärkung haben. Wir sollten zusehen, daß wir an die frische Luft kommen!«
    »Sie haben recht, Sergeant«, keuchte Onkel Jean und wich vor dem Rauch zurück.
    Ich aber, der ich mich leidlich erholt hatte, erhob mich schwankend und drang durch den Rauch zu
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