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Die Juweleninsel

Die Juweleninsel

Titel: Die Juweleninsel
Autoren: Karl May
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Erstes Kapitel
Im Seebade
    Die Bucht, an welcher das wegen seines Seebades berühmte Städtchen Fallum liegt, wird zur Rechten von der weit vortretenden, aus schroffen Felsen zusammengesetzten Küste, zur Linken aber von einer Landzunge eingefaßt, die in Form eines scharf gebogenen Hornes in die See hinausragt und bis an ihre äußerste Spitze einen dichten Eichen-und Buchenwald trägt, durch den nur wenige schmale Pfade führen, welche es den Badegästen ermöglichen, sich aus dem Geräusche des während der Saison vielbesuchten Ortes in die tiefste Einsamkeit und Stille der Natur zurückzuziehen.
    Die Landzunge hält die hohen Wogen und der Wald die Winde von der Bucht ab, ein Umstand, welcher sehr zur Frequenz des Bades beizutragen geeignet ist und es selbst zaghaften Gemüthern gestattet, sich badend oder im Boote sitzend den sonst gefürchteten Wellen anzuvertrauen.
    Es war an einem schönen Julinachmittage, als drei Damen auf einem der erwähnten Waldwege dahinspazierten. Sie bildeten eine interessante, ja sogar auffällige Gruppe. Abgesehen von ihren gelben Sommerhüten war die Eine ganz in Blau, die Andere ganz in Grün und die Dritte ganz in Purpurroth gekleidet. Die Blaue, sehr lang und hager Gebaute, trug ein dreifarbiges Cyperkätzchen, die Grüne, klein und schmächtig Gestaltete, ein Meerschweinchen und die Purpurrothe, mit einer kurzen, sehr dicken taillenlosen Figur Ausgestattete ein Eichhörnchen auf dem Arme, welches letztere außerdem mittelst eines Halsbandes und einer goldenen Kette an den Busen seiner Trägerin befestigt war. Ihre Anzüge waren aus Stoffen gefertigt, deren Preis darauf schließen ließ, daß diese drei Damen den gut situirten Ständen angehörten.
    Kein Mensch hätte geahnt, daß diese von der Natur so verschieden begabten Spaziergängerinnen Schwestern seien, und dennoch waren sie es, wie sich aus ihrem Gespräche deutlich erkennen ließ.
    »Ja, meine gute Schwester Zilla,« seufzte die Blaue, »unser Bruder Emil ist gegen fremde Damen und sogar gegen seine abscheulichen Hunde rücksichtsvoller als gegen uns. Diese Männer sind und bleiben Barbaren, die man auch mit der größesten Geduld und Nachgiebigkeit nicht anders machen kann!«
    »Sie wollen niemals einsehen, meine liebe Freya, daß wir unendlich zarter besaitet sind als sie,« fiel die Grüne ein. »Und darum ist es keinem Mädchen zu verdenken, wenn es sich nicht entschließen kann, eine lebenslange Verbindung mit diesem Geschlechte der Vandalen einzugehen.«
    »Ja,« flötete die Purpurne mit fetter Stimme, »wir haben das gute Theil erwählt, und das soll nicht von uns genommen werden, trotzdem es besonders mir leicht sein würde, eine standesgemäße und glänzende Mariage abzuschließen.«
    »Besonders Dir?« frug die Trägerin des Kätzchens schnippisch. »Hörst Du, Wanka, dieses ›Besonders‹ klingt ganz wie eine Injurie gegen uns Beide. Schwester Zilla meint, weil sie die jüngste von uns ist, stehen ihr mehr Partien zu Gebote als uns. Aber Damen können ja überhaupt niemals alt werden. Meine vierunddreißig Jahre sind –«
    »Entschuldige, Freya,« fiel die Dicke ein, »neununddreißig bist Du im November gewesen!«
    »Neununddreißig? Ah, Du scheinst Dich mehr um das Alter Anderer als um das Deinige zu bekümmern!«
    »O nein, aber ich kann mir das Deinige so leicht merken, weil wir gerade zehn Jahre auseinander sind – Du neununddreißig und ich neunundzwanzig.«
    »Ah, schau doch an! Schwester Wanka, wie alt ist Zilla?«
    »Fünfunddreißig.«
    »Und Du achtunddreißig,« rächte sich Zilla.
    »Nein, sechsunddreißig!«
    »Achtunddreißig, nicht wahr, Freya?«
    »Allerdings. Aber streiten wir uns nicht um solche Nebensachen. Die Hauptsache bei einer ehelichen Verbindung bleibt nächst den geistigen Vorzügen doch jedenfalls die körperliche Erscheinung, und in dieser Beziehung müßt Ihr Beide gestehen, daß ich Euch überrage und sehr im Stande bin, jedem Manne zu imponiren.«
    »Es gibt genug Herren, welche sich für eine zarte ätherische Gestalt mehr interessiren als für große Länge,« vertheidigte sich Wanka.
    »Ebenso wie ich in der Lage bin die Erfahrung zu machen, daß ein glückliches Embonpoint von der Mehrzahl der Herren immer reizend gefunden wird,« fügte Zilla bei. »Das hat mir sogar Lieutenant von Wolff gesagt, den ich, wie Ihr wißt, zu meinen neuesten und besten Eroberungen zählen darf.«
    »Du?« rief die Lange. »Er hat mir erst vorgestern gestanden, daß ihm von mir geträumt
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