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Das Wahre Kreuz

Das Wahre Kreuz

Titel: Das Wahre Kreuz
Autoren: Joerg Kastner
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keine Zuflucht mehr, sondern ein Ort, der an ein grausames Gemetzel erinnert.«

    Als wir ans Tageslicht zurückkehrten, übergab Onkel Jean die Fackel einem Grenadier.
    Hauptmann Laforce warf einen neugierigen Blick auf den mit Schnitzereien verzierten Holzkasten in meinen Händen. »Sie haben gefunden, was Sie suchten?«
    Onkel Jean nickte. »General Bonaparte wird sehr zufrieden sein. Wir reiten gleich zu ihm und bringen ihm unseren Fund.«
    Laforce sah nach Westen, wo die Sonne schon knapp über dem Horizont stand. »Aber es wird bald Nacht, Bürger Cordelier. Wollen Sie nicht lieber hier im Lager bleiben und morgen früh, ausgeruht und gestärkt, den Ritt durch die Wüste wagen?«
    »Bonapartes Lager ist nicht allzu weit von hier entfernt. Der General wird es uns danken, wenn wir ihm dies schon heute übergeben.« Onkel Jean zeigte auf den Kasten.
    »Wie Sie meinen«, sagte der Hauptmann. »Darf man fragen, was da drin ist?«
    »Sie dürfen fragen, aber ich darf nicht darauf antworten.« Mein Onkel setzte eine entschuldigende Miene auf. »So lautet der Befehl des Generals.«
    Laforce ließ unsere Pferde bringen, die inzwischen versorgt worden waren, und wünschte uns einen guten Ritt. Besonders herzlich verabschiedete ich mich von dem treuen Kalfan, den ich wohl nicht wiedersehen würde. Wir ritten in die Richtung von Bonapartes Marschkolonne – jedenfalls so lange, wie man uns vom Lager aus sehen konnte. Dann wollten wir umschwen-ken, das Lager in einem weiten Bogen umgehen und nach Süden reiten, zum Eselsfelsen.
    Doch Onkel Jean stieg plötzlich vom Pferd und verlangte nach meinem Klappmesser.
    »Was ist?« fragte ich. »Hat Ihr Pferd einen Stein im Huf?«
    »Nein. Leihst du mir jetzt dein Messer?«
    Ich gab es ihm und sah verwundert zu, wie er von dem Holzpfahl, an dem er zuvor auf der Sanddüne sein Pferd angebunden hatte, einen langen Splitter abtrennte. Danach klappte er das Messer zusammen und gab es mir zurück.
    »Und jetzt den Kasten, bitte!«
    Verwirrt blickte ich auf den Holzkasten, den ich hinter mir auf dem Pferd festgeschnallt hatte.
    »Wozu?«
    »Mach schon, Junge, die Zeit drängt!«
    Ich stieg ebenfalls ab, löste die Gurte und gab ihm den Kasten.
    Er öffnete ihn und zog das Tuch mit dem heiligen Stück Holz aus der Axt. Nach kurzem Zögern reichte er es mir. »Paß gut darauf auf, Bastien!« Dann schob er den Splitter, den er eben von dem Pferdepflock gelöst hatte, in den Schaft der Axt und sagte erleichtert: »Es paßt!«
    »Aha«, sagte ich nur, leicht verstimmt. »Und wozu das Ganze?«
    »Ist das nicht offensichtlich? Ich will Bonaparte ab-lenken. Wenn der General zum Tempel kommt und von Laforce hört, was sich ereignet hat, wird er Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um uns aufzuspü-
    ren. Vielleicht sogar mit Erfolg. Deshalb werde ich zu ihm reiten und ihm dieses nicht ganz so Wahre Kreuz übergeben.«
    Kopfschüttelnd sagte ich: »Er wird den Splitter untersuchen lassen und bald herausfinden, daß Sie ihn betrogen haben.«
    »Möglich. Aber dann werdet ihr, Ourida und du, mit dem Kreuz Jesu längst in Sicherheit sein.«
    Ich spürte einen Kloß in meinem Hals. »Und was wird aus Ihnen, Onkel?«
    Er lächelte. »Das wird sich finden. Ich kann immer noch vorgeben, selbst betrogen worden zu sein. Von euch beiden. Ihr habt versucht, euch mit dem Kreuz abzusetzen, ich aber konnte es euch entreißen und bin mit meiner Beute auf dem schnellsten Weg zu Bonaparte geritten. Das ist die Geschichte, die ich ihm erzählen werde.«
    Angst um Onkel Jean bemächtigte sich meiner. Ich wollte etwas sagen, ihn umstimmen, aber meine Gedanken waren wirr, und kein vernünftiger Satz kam mir über die Lippen. Ich atmete heftig und schien doch keine Luft zu kriegen. Hilflos starrte ich auf das Tuch mit dem heiligen Holz in meinen Händen, und plötzlich überkam mich ein tiefes Gefühl der Ruhe und Zuversicht. Ich konnte wieder durchatmen. Mir war, als sage mir eine sanfte, volltönende Stimme in meinem Kopf, daß der Plan meines Onkels genau richtig sei. Und dann dachte ich: Hat das Kreuz Jesu nicht auch vor Jahrhunderten Roland den rechten Weg gewiesen? Ourida stieg ab und trat neben mich.
    »Er tut es aus Liebe zu dir, Bastien. Das ist es, was ein Vater für seinen Sohn tut. Du mußt es annehmen, denn es ist der rechte Weg!«
    Ich reichte ihr das Wahre Kreuz und umarmte meinen Onkel, drückte ihn fest an mich. Tränen rannen mir übers Gesicht, auch dann noch, als er schon auf dem Pferd saß, den
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