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Das Versteck der Anakonda

Titel: Das Versteck der Anakonda
Autoren: Ralf Lilienthal
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kleineren Gebäude machte Oma Esmeralda halt, öffnete die Aluminiumtür und trat ein.
    Der Geruch, der Paul schon auf der Schwelle indie Nase stieg, war ihm wohlvertraut. Der Anblick der winzigen Küche auch. Denn wann immer die kleine mexikanische Meisterköchin
     in Frankfurt zu Besuch kam, wurde aus der wohlgeordneten blitzsauberen Küche seiner Mutter ein Schlachtfeld der Köstlichkeiten.
     Auch hier waren Töpfe, Schalen, Pfannen und Teller voller Tortillas, Enchiladas und Jalapeños auf den Schränken, Tischen und
     Stühlen verteilt, sodass Paul sich wie in einem Porzellanladen bewegte, um bloß nichts herunterzustoßen.
    Als sein Blick weiter durch den kleinen Raum wanderte, fiel ihm ein gerahmtes Foto auf, das an der Wand gleich gegenüber dem
     Esstisch hing. Es zeigte seine Mutter, die kleine Anna und ihn und war kurz vor der Abreise seines Vaters in einem Fotostudio
     aufgenommen worden.
    »Wo ist Papa denn eigentlich?«
    »Ach, mein Junge. Du kennst doch deinen Vater. Wenn er auf Schlangenjagd ist, bleibt seine Uhr stehen! Eigentlich wollte er
     heute Mittag wieder da sein. Aber Gott allein weiß, wann er zurück sein wird.«
    O ja, Paul wusste nur zu gut, dass seine Oma recht hatte. Wenn sein Vater eine Sache erst einmal angefangen hatte, dann brachte
     er sie auch zu Ende. Essen? Schlafen? Das kannte er dann gar nicht. Anmanchen Tagen in Frankfurt war Paul sich morgens nicht sicher: Sitzt Papa jetzt schon wieder vor dem Computer und arbeitet,
     oder noch immer?
    Eine Weile dachte Paul an zu Hause. Und an seine Mutter. Aber das Topfgeklapper von Oma Esmeralda brachte ihn wieder in die
     Gegenwart zurück. Er sprang auf, fischte sich eine Tortilla vom Teller, stopfte sie mit einem Haps in den Mund und legte der
     kleinen Frau seine fettige Hand auf die Schulter.
    »Jetzt sag aber endlich. Was machst du denn eigentlich hier?«
    Oma Esmeralda wischte sich die Hände an ihrer Schürze ab und gab ihm noch einmal einen dicken Schmatz.
    »Na, was wohl? Dich wollte ich sehen. Wenn du schon einmal in Südamerika bist, dann setzt sich deine alte Oma eben in den
     Flieger und   …« Sie ließ ihre kleine Hand wie ein Flugzeug abheben und imitierte mit lustigen Geräuschen einen Düsenjet. »Außerdem – wer
     sollte dich sonst hier verpflegen? Dein Vater interessiert sich fürs Essen wie der Hahn fürs Eierlegen!«
     
    Pauls erster Abend im Camp Napo ging in die Geschichte ein. Er konnte sich nicht erinnern, in seinemLeben jemals so viel gegessen zu haben! Der lange Flug und die Flussfahrt hatten ihn hungrig gemacht. Und die Kochkünste seiner
     Oma machten ihm Appetit. Dabei erzählte er ihr zwischen zwei Bissen kreuz und quer alles, was ihm gerade einfiel, während
     die kleine Mexikanerin ununterbrochen »Aahhh, si! Aahhh, si!« rief und dabei seinen Teller nie leer werden ließ. Als sie schließlich
     ihren Stuhl neben seinen schob und sich daraufsetzte, lehnte Paul seinen Kopf an ihre Schulter und schlief auf der Stelle
     ein.

[ Menü ]

    Giftschlangen!

    Als er am anderen Morgen aufwachte, hatte Paul keinen blassen Schimmer, wo er sich befand oder wie er hierhergekommen war.
     Er lag in einem angenehm weichen Bett. Über ihm an der Decke surrte ein Ventilator und draußen vor dem Fenster krähte ein
     heiserer Hahn. Das fröhliche Singen aus dem Raum nebenan brachte seine Erinnerung zurück. Er war im Camp Napo. Hatte einen
     Freund gefunden und seine Oma wiedergesehen – der neue Tag fühlte sich an wie Weihnachten oder Geburtstag. Nur schöner.
    Als Paul eine Stunde später die Aluminiumtür aufgestoßen und einen ersten Blick auf das morgendliche Camp geworfen hatte,
     löste sich ein Schatten unter dem großen Baum, der ganz in der Nähe stand. Juanito! Der Indianer hatte sein Äffchen auf der
     Schulter und strahlte ihn an.
    »Hallo Pablo, ausgeschlafen?«
    »Ja, auuuusgeschlafen.« Pauls Antwort war zur Hälfte in lautem Gähnen untergegangen. Beide Jungen mussten lachen.
    »Zeigst du mir das Camp?«
    »Gerne. Und danach gehen wir fischen. Ich habe Schnur und Haken dabei.«
    Juanito hielt ein Bündel und einen kurzen spitzen Stock hoch. Von einer Angel, wie Paul sie kannte, war allerdings weit und
     breit nichts zu sehen.
    Dann liefen sie los. Bevor Juanito die Türklinke zu einem der Gebäude herunterdrückte, ließ er das Äffchen auf seine hingehaltene
     Hand und dann auf den Boden springen.
    »Lauf nach Hause, wir gehen zu den Schlangen und zu den Pferden.«
    »Pferde?«
    Natürlich! Für
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